Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
er die heiligen Ideale des Christentums in ihrer Vollkommenheit bewundern oder sogar übernehmen würde. Als Omars Muezzin seine Soldaten zum Gebet rief, lud Sophronius Omar ein, dort zu beten, aber angeblich lehnte er mit der Warnung ab, das würde die Kirche zu einem islamischen Gebetsort machen. Omar wusste, dass Mohammed David und Salomo verehrt hatte und befahl Sophronius: »Bring mich zum Heiligtum Davids.« Er und seine Krieger gingen vermutlich durch das Tor des Propheten im Süden auf den Tempelberg und fanden ihn beschmutzt durch »einen Misthaufen, den die Christen dort angelegt hatten, um die Juden zu beleidigen«.
Omar bat, ihm das Allerheiligste zu zeigen. Ein jüdischer Konvertit, Kaab al-Ahbar, genannt der Rabbi, antwortete, wenn das Oberhaupt »die Mauer« (vielleicht meinte er die letzten herodianischen Überreste einschließlich der Westmauer) erhalten würde, »will ich ihm zeigen, wo die Ruinen des Tempels sind«. Kaab zeigte Omar den Grundstein des Tempels, den Felsen, den die Araber Sachra nannten.
Mit Unterstützung seiner Truppen räumte Omar die Trümmer beiseite, um einen Gebetsort zu schaffen. Kaab schlug vor, er solle ihn nördlich vom Grundstein anlegen und »so zwei Qiblas machen, die Moses’ und die Mohammeds«. »Du neigst noch immer zu den Juden«, antwortete Omar angeblich und legte sein erstes Gebetshaus südlich vom Felsen etwa an der Stelle der heutigen al-Aqsa-Moschee so an, dass es eindeutig nach Mekka ausgerichtet war. Omar erfüllte Mohammeds Wunsch: Er ging über das Christentum hinaus, stellte diesen altehrwürdigen heiligen Ort wieder her, übernahm ihn und machte damit die Muslime, unter Umgehung der Christen, zu den legitimen Erben jüdischer Heiligkeit.
Die Schilderungen über Omar in Jerusalem entstanden erst über hundert Jahre später, als der Islam seine Rituale bereits so formalisiert hatte, dass sie sich eindeutig von den christlichen und jüdischen unterschieden. Aber die Geschichte von Kaab und anderen Juden, die später die islamische literarische Überlieferung der Israiliyat bildeten und weitgehend die Größe Jerusalems besangen, belegt, dass viele Juden und vermutlich auch Christen sich dem Islam anschlossen. Was genau in diesen ersten Jahrzehnten geschah, werden wir wohl nie erfahren, aber die entspannten Regelungen in Jerusalem und andernorts lassen vermuten, dass es zwischen den Völkern der Bibel erstaunlich viel Gemeinsamkeit und Durchmischung gab. [108]
Anfangs waren die Muslime durchaus damit zufrieden, sich Kirchen mit den Christen zu teilen. In Damaskus benutzten sie jahrelang gemeinsam die Johanneskirche, und in der dortigen Omaijadenmoschee befindet sich noch heute das Grab Johannes’ des Täufers. Berichten zufolge teilten sie sich auch in Jerusalem Kirchen. Die Cathismakirche außerhalb der Stadt wurde sogar mit einer muslimischen Gebetsnische ausgestattet. Im Gegensatz zur Omar-Legende beteten die frühen Muslime anfangs offenbar in oder neben der Grabeskirche, bevor sie auf dem Tempelberg entsprechende Vorkehrungen treffen konnten.
Nach Jahrhunderten byzantinischer Unterdrückung hießen die Juden die Araber ebenfalls willkommen. Angeblich gab es in den muslimischen Armeen sowohl Juden als auch Christen. Omars Interesse am Tempelberg weckte verständlicherweise bei den Juden Hoffnungen, weil er die Juden nicht nur aufforderte, das Gelände zu erhalten, sondern ihnen auch erlaubte, dort mit den Muslimen zu beten. Ein gut informierter armenischer Bischof, Sebeos, der dreißig Jahre später schrieb, behauptet: »Die Juden hatten vor, den Tempel Salomos zu errichten, und nachdem sie das Allerheiligste ausfindig gemacht hatten, bauten sie [ihn] ohne Sockel.« Er fügt hinzu, dass Omars erster Statthalter von Jerusalem Jude war. Fest steht, dass Omar dem Führer der jüdischen Gemeinde von Tiberias, dem Gaon, und siebzig jüdischen Familien anbot, nach Jerusalem zurückzukehren; dort ließen sie sich südlich vom Tempelberg nieder. [109]
Jerusalem war nach den persischen Plünderungen immer noch verarmt und von Seuchen geplagt und blieb noch viele Jahre überwiegend christlich geprägt. Omar siedelte auch Araber in der Stadt an, vor allem die gebildeteren Quraisch, die Palästina und Syrien mochten, das sie Bilad al-Shams nannten. Einige der engsten Anhänger des Propheten, die sogenannten Gefährten, kamen nach Jerusalem und ließen sich auf dem ersten muslimischen Friedhof unmittelbar vor dem Goldenen Tor beisetzen, um für den Jüngsten
Weitere Kostenlose Bücher