Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
es in Judäa erneut zu einem letzten, verheerenden Gewaltausbruch kam.
Tod der Jesus-Dynastie: Die vergessene Kreuzigung
Jerusalem war das Hauptquartier der Zehnten Legion, die im heutigen armenischen Viertel um die drei Türme der Herodeszitadelle stationiert war – die Basis des letzten Turms, des Hippicus, steht noch heute. In der ganzen Stadt waren Dachziegel und Backsteine der Legion mit ihrem antijüdischen Emblem, dem Eber, zu finden. Jerusalem war keineswegs menschenleer; vielmehr hatte man syrische und griechische Veteranen dort angesiedelt, die die Juden traditionell hassten. Diese öde Mondlandschaft aus gigantischen Trümmerhaufen muss gespenstisch gewirkt haben. Die Juden hofften aber wohl, dass der Tempel wiederaufgebaut würde, wie es schon früher geschehen war.
Vespasian erlaubte dem Rabbi Johanan ben Zakkai, der in einem Sarg aus Jerusalem entkommen war, das jüdische Gesetz in Jawne (Jamnia) am Mittelmeer zu lehren, und verbannte die Juden nicht offiziell aus Jerusalem. Viele der wohlhabenderen Juden schlossen sich wahrscheinlich den Römern an, wie Josephus und Agrippa es taten. Aber sie durften nicht auf den Tempelberg. Pilger trauerten sehr um den Tempel und beteten nun am Grab des Zechariah im Kidrontal. [79] Manche hofften auf die Apokalypse, die Gottes Reich wiederherstellen sollte, aber für Rabbi ben Zakkai nahm die untergegangene Stadt etwas immateriell Mystisches an. Als er die Ruinen besuchte, rief sein Schüler »Weh uns!«. »Sei nicht bekümmert«, antwortete der Rabbi (laut Talmud, der einige Jahrhunderte später zusammengestellt wurde). »Wir haben eine andere Sühne. Das sind die Akte der Barmherzigkeit.« Damals war es zwar niemandem klar, aber das war der Beginn des modernen Judentums – ohne den Tempel.
Die Judenchristen unter Führung von Simon, dem Sohn des Klephas und Halbbruder oder Vetter Jesu, kehrten nach Jerusalem zurück und fingen an, das Obergemach auf dem heutigen Berg Zion in Ehren zu halten. Unter dem heutigen Gebäude befindet sich eine Synagoge, die vermutlich aus den Trümmern des herodianischen Tempels gebaut wurde. Aber die wachsende Zahl von Heidenchristen im Mittelmeerraum verehrte das reale Jerusalem nicht mehr. Die Niederlage der Juden trennte sie für immer von der Mutterreligion, da sie die Prophezeiungen Jesu als wahr erwies und den Erfolg einer neuen Offenbarung belegte. Jerusalem war nur die Wüste eines gescheiterten Glaubens. Die Offenbarung setzte anstelle des Tempels nun Christus, das Lamm Gottes. Am Ende der Tage würde das goldene, juwelenbesetzte Jerusalem vom Himmel herabsteigen.
Diese Sekte musste vorsichtig sein: Die Römer waren auf der Hut vor allen Anzeichen messianischen Königtums. Titus’ Nachfolger, sein Bruder Domitian, behielt die antijüdische Steuer bei und verfolgte die Christen, allein um Unterstützung für sein eigenes wankendes Regime zu mobilisieren. Nach seiner Ermordung reduzierte der friedliebende, ältere Kaiser Nerva die Repressionen und die Besteuerung der Juden. Es war jedoch eine trügerische Morgendämmerung. Da Nerva keine Söhne hatte, setzte er seinen herausragenden Feldherrn als Erben ein. Der große, athletische, strenge Trajan war der ideale Kaiser, vielleicht der größte seit Augustus. Aber er sah sich als Eroberer neuer Länder und Restaurator alter Werte – schlecht für die Christen und noch schlechter für die Juden. Im Jahr 106 ließ er Simon, den Leiter der christlichen Gemeinde Jerusalems, kreuzigen, weil er wie Jesus für sich in Anspruch nahm, von König David abzustammen. Damit endete die Jesus-Dynastie.
Trajan, der stolz war, dass sein Vater sich unter Titus im Kampf gegen die Juden einen Namen gemacht hatte, führte den Fiskus Judaicus wieder ein; außerdem bewunderte er Alexander als Helden, unternahm eine Invasion ins Partherreich und dehnte das römische Herrschaftsgebiet auf den Irak, die Heimat der babylonischen Juden, aus. Während der Kämpfe wandten sie sich vermutlich hilfesuchend an ihre römischen Brüder. Als Trajan in den Irak vordrang, massakrierten die Juden in Afrika, Ägypten und Zypern unter der Führung von »Rebellenkönigen« Tausende Römer und Griechen – endlich Rache, möglicherweise koordiniert von den Juden des Partherreichs.
Da Trajan jüdischen Verrat in seinem Rücken und Angriffe der babylonischen Juden bei seinem Vormarsch in den Irak fürchtete, war er fest entschlossen, das Volk möglichst vollends zu vernichten. Er befahl daher, Juden vom Irak bis
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