Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Höhle. Als die Römer den Zugang zur Höhle bewachten, und die Männer in der Falle saßen, beschlossen sie, sich das Leben zu nehmen, und losten aus, wer wen töten sollte. Durch »göttliche Fügung« (oder Betrug) zog Josephus das letzte Los und verließ die Höhle lebend. Vespasian beschloss, ihn als Preis zu Nero zu schicken, was einen grausamen Tod bedeutet hätte. Josephus bat, den Feldherrn zu sprechen. Als er vor Vespasian und Titus stand, sagte er: »ich erscheine vor dir als Verkünder wichtiger Dinge … Du willst mich an Nero schicken? Wozu denn? … Nein, du Vespasianus wirst Cäsar und Selbstherrscher werden, du und auch dieser dein Sohn!« Der strenge Vespasian fühlte sich geschmeichelt und behielt Josephus in Gefangenschaft, schickte ihm aber Geschenke. Titus, der etwa im selben Alter war wie Josephus, freundete sich mit ihm an.
Als Vespasian und Titus gegen Judäa vorrückten, entkam Josephus’ Rivale Johannes von Gischala nach Jerusalem – in eine Stadt ohne Herrscher, die sich in einem Selbstzerstörungswahn befand.
Jerusalem, das Bordell: die Tyrannen Johannes und Simon
Die Tore Jerusalems standen jüdischen Pilgern weiterhin offen, daher strömten religiöse Fanatiker, kampfgestählte Mörder und Tausende Flüchtlinge in die Stadt, in der die Rebellen ihre Kräfte in Bandenkriegen, orgiastischen Vergnügungen und üblen Hexenjagden auf Verräter aufzehrten.
Junge, draufgängerische Banditen stellten nun die Herrschaft der Priester in Frage. Sie besetzten den Tempel, stürzten den Hohepriester und wählten an seiner Stelle einen ungebildeten Mann vom Land. Ananus sammelte die Jerusalemer hinter sich und griff den Tempel an, zögerte aber, die Innenhöfe und das Allerheiligste zu stürmen. Johannes von Gischala und seine galiläischen Kämpfer erkannten die Chance, die gesamte Stadt für sich zu gewinnen. Johannes rief die Idumäer zur Hilfe, ein »ungestümes, zügelloses Volk«, das südlich von Jerusalem lebte. Sie stürmten die Stadt und den Tempel, bis ihn »Ströme von Blut« durchflossen, wüteten anschließend in den Straßen und töteten 12 000 Menschen. Sie ermordeten Ananus und seine Priester, zogen sie aus und trampelten auf ihren Leichen herum, bevor sie sie über die Mauer den Hunden zum Fraß vorwarfen. »Mit dem Tode des Ananus bereits nahm der Untergang der Stadt seinen Anfang«, schreibt Josephus. Nachdem die Idumäer ihren Blutdurst gestillt und reiche Beute gemacht hatten, überließen sie Jerusalem einem neuen Machthaber, Johannes von Gischala.
Obwohl die Römer nicht weit entfernt waren, ließ Johannes seine Galiläer und Zeloten ihre Beute ungezügelt genießen. Das Heilige Haus wurde zum Freudenhaus; aber manche Anhänger des Johannes verloren bald den Glauben an diesen Tyrannen und liefen zum aufkommenden Machthaber außerhalb der Stadt über, einem jungen Warlord namens Simon ben Giora, der Johannes »zwar an Verschlagenheit nachstand, an Körperkraft und Waghalsigkeit dagegen ihn übertraf«. Für das Volk war er »furchtbarer als die Römer«. Aber die Jerusalemer hofften, sich vor einem Tyrannen zu retten, indem sie einen anderen holten, Simon ben Giora, der schon bald weite Teile der Stadt besetzte. Johannes hielt weiterhin den Tempel. Aber nun rebellierten die Zeloten gegen ihn und besetzten den inneren Tempel, so dass drei Feldherren und drei Armeen um eine Stadt kämpften, wie Tacitus feststellte – obwohl die Römer näher rückten. Als die Nachbarstadt Jericho an Vespasian fiel, stellten die drei jüdischen Parteien die internen Kämpfe ein, befestigten gemeinsam Jerusalem, hoben Gräben aus und verstärkten Herodes’ des Großen dritte Stadtmauer im Norden. Vespasian bereitete die Belagerung Jerusalems vor, aber unvermittelt stellte er alle Kämpfe ein.
Rom hatte seine Führung verloren. Am 9. Juni 68 beging Nero, von Aufständen geplagt, mit den Worten Selbstmord: »Was für ein Künstler geht mit mir zugrunde!« In rascher Folge ernannte und zerstörte Rom drei Kaiser, während in den Provinzen drei falsche Neros aufstiegen und untergingen – als habe ein echter noch nicht gereicht. Schließlich bejubelten die Legionen in Judäa und Ägypten Vespasian als ihren Kaiser. Der Maultiertreiber erinnerte sich an Josephus’ Prophezeiung, ließ ihn frei, verlieh ihm die römische Bürgerschaft und ernannte ihn zu seinem Berater, der beinahe eine Art Maskottchen für ihn war, während er zuerst Judäa und dann die Welt eroberte. Berenike verpfändete ihre
Weitere Kostenlose Bücher