Jerusalem: Die Biographie (German Edition)
Masada hielt sich weitere drei Jahre unter Eleazar, dem Galiläer, während die Römer eine Rampe bauten, um sie zu stürmen. Im April 73 hielt der Anführer eine Rede an seine Männer und ihre Familien, in der er ihnen die Realitäten dieser finsteren neuen Welt schilderte: »Wo ist sie hingekommen, die Stadt, die Gott der Herr gewürdigt hatte, in ihr zu wohnen?« Jerusalem existierte nicht mehr, und ihnen drohte die Sklaverei:
Schon lange sind wir, wackere Kameraden, entschlossen, weder den Römern noch sonst jemand untertan zu sein außer Gott allein … Denn wie wir die Allerersten waren, die sich gegen ihr Joch aufgelehnt haben, so sind wir auch die Letzten, die noch von ihnen bekämpft werden. Ich halte es für eine besondere Gnade Gottes, dass er uns in den Stand setzt, ehrenvoll als freie Leute unterzugehen … Ungeschändet sollen unsere Weiber sterben, frei von Sklavenketten unsere Kinder!
So töteten die Männer also ihre Familien, »indem sie ihre Frauen liebevoll umarmten, ihre Kinder herzten und unter Tränen die letzten Küsse auf deren Lippen drückten«; zehn Männer wurden ausgelost, die übrigen zu töten, bis alle 960 tot waren.
Für die meisten Römer bestätigte der Massenselbstmord von Masada, dass Juden verrückte Fanatiker waren. Tacitus, der dreißig Jahre später schrieb, drückte die gängige Ansicht aus, die Juden seien »widerwärtig, abscheulich«, hegten einen seltsamen Aberglauben, der Monotheismus und Beschneidung verlange, verachteten die römischen Götter, lehnten Patriotismus ab, und ihre Sitten hätten »nur durch ihre Widernatur Geltung erlangt«. Aber Josephus, der die Einzelheiten aus Masada von einigen wenigen Überlebenden erfuhr, die sich während des Massenselbstmords versteckt hatten, konnte seine Bewunderung für den jüdischen Mut nicht verhehlen.
Berenike: die jüdische Kleopatra
In Rom lebte Josephus in Vespasians altem Haus. Titus schenkte ihm einige Schriftrollen aus dem Tempel, eine Leibrente und Ländereien in Judäa und gab sein erstes Buch in Auftrag, Der jüdische Krieg . Der Kaiser und Titus waren nicht Josephus’ einzige Quellen: sein »lieber Freund« König Herodes Agrippa schrieb ihm, so »will ich, wenn du einmal zu mir kommst, dir mündlich noch manches mitteilen«. Josephus war klar, dass seine privilegierte Stellung eine Kehrseite hatte: »Dieses Glück aber regte den Neid gegen mich auf und brachte mich in Gefahr.« Er brauchte den kaiserlichen Schutz und erhielt ihn bis zur Regentschaft Domitians, der entgegenkommend einige seiner Feinde hinrichten ließ. Doch obwohl Josephus in seinen letzten Lebensjahren – er starb um 100 n.Chr. – die Gunst der Flavier genoss, hoffte er auf den Wiederaufbau des Tempels und war stolz auf den jüdischen Kulturbeitrag: »Deshalb darf ich kühn behaupten, dass wir gar viele und herrliche Tugenden bei anderen eingeführt haben. Denn nichts ist vortrefflicher als unwandelbare Frömmigkeit, nichts ein deutlicheres Zeichen der Gerechtigkeit als der Gehorsam gegen die Gesetze.«
Die Herodierprinzessin Berenike blieb bei Titus in Rom, erregte bei den Römern aber Anstoß mit ihren protzigen Diamanten, ihrem königlichen Auftreten und den Gerüchten über ihre inzestuöse Beziehung zu ihrem Bruder. »Sie selbst aber durfte in dem Palaste wohnen und kam in vertraulichen Umgang mit Titus. Man erwartete sogar, daß sie sich mit ihm vermählen würde, und sie benahm sich schon ganz als seine Gemahlin.« Es hieß, Titus habe den Feldherrn Caecina ermorden lassen, weil er mit ihr geflirtet habe. Titus liebte sie, aber die Römer verglichen sie mit Antonius’ Femme fatale, Kleopatra – oder noch Schlimmerem, da die Juden mittlerweile verachtet und besiegt waren. So musste Titus sie fortschicken. Als er 79 n.Chr. die Nachfolge seines Vaters antrat, kam es zum endgültigen Bruch zwischen beiden; es gab einen solchen öffentlichen Aufschrei der Entrüstung über ihre Beziehung, dass er sich von Berenike trennen musste; denn er war sich durchaus bewusst, dass der Thron den Flaviern alles andere als sicher war. Vielleicht fuhr sie wieder zu ihrem Bruder, dem nahezu letzten Herodier. [78]
Titus’ Regentschaft war kurz. Zwei Jahre später starb er mit der Äußerung, »er habe keine seiner Handlungen zu bereuen, außer einer einzigen«. Die Zerstörung Jerusalems? Die Juden waren überzeugt, dass sein früher Tod Gottes Strafe war. [63] Vierzig Jahre lang herrschte im verwüsteten Jerusalem angespannte Erschöpfung, bevor
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