Jesses Maria - Hochzeitstag
die am Bauch abstehen, die Füße fast ausnahmslos in blauen Badeschlappen mit Fußbett, nehmen es mit Hacken und Hornhaut nichtganz so genau.
Die Frau neben mir spricht laut.
Sie hat einen sehr kleinen, spitzen Mund, wie ein Schnabel sieht der aus. Ihre brünette Dauerwelle ist am Pony ein bisschen zu kurz geschnitten, und sie hat sich in der Mitte ihrer Stirn eine Wurst geföhnt.
Deutsche, wusste ichs doch, denn sie hat eben gesagt: „Werner, getz mammich nich fetich“, und das klingt wie zu Hause, die Sprache kenne ich, das ist ostwestfälisch! Da muss ich jetzt einfach mal fragen: „Tschuldigung, dass ich Sie so direkt anspreche, aber kommen Sie zufällig aus Ostwestfalen?“
Die Frau macht die Lippen noch spitzer und guckt mich mit kleinen hellen Augen über den roten Rand ihrer Brille an.
„Jawoll, wir sind aus Minden, Stadtteil Dützen, besser gesagt, ich komme da wech, gebürtig bin ich aber aus Leteln, aufgewachsen in Bärenkämpen, und als ich meinen Mann dann geheiratet habe, wir sind fümmenvierzig Jahre verheiratet, das muss man sich mal vorstellen, fümmenvierzig Jahre, also wie wir geheiratet haben, da ham wir auch direkt gebaut, in Dützen. Schönes Haus ham wir da, zweihundertvierzig Quadratmeter Wohnfläche auf zwei Etagen, getz ohne Keller gerechnet, der kommt da noch zu, und zwölfhundert Quadratmeter Grundstück, Ende einer Sackgasse, unverbaubare Hanglage, aber getz n bisschen gross nur für uns beide, seit unser Sohn ausm Hause ist und die Tochter wohnt ja in London.“
Ich bin froh, dass Frau Schnabelmund Luft holen muss und sage schnell: „Aus Minden in Westfalen sind Sie, das ist aberein Zufall! Ich komme nämlich aus Bad Oeynhausen, und dann trifft man sich hier in Spanien …“
Frau Schnabelmund fällt mir ins Wort: „Oeynhausen! Da bin ich als Kind oft am Sonntag mit meinen Eltern hingefahren, das war ja früher die elegante Stadt hinterm Berge, wo die reichen Pinkel in Kur gingen, Otto Normalverbraucher kam ja höchstens mal in den Harz. Wir sind nach Oeynhausen immer mit dem Bus hin, mit der Linie 61 von Minden Markt bis Haus Fitting, und dann sind wir einmal um den Kurpark spaziert, in den Kurpark konnten wir ja nicht, das kostete ja Eintritt, wir sind dann am Jordansprudel vorbei … meine Mutter sagte immer Bad Stöhnhausen, wegen der vielen Kranken …“ Frau Schnabelmund jabbelt und jabbelt.
Ihr Mann hat sein Glas Bier auf seinen Bauch gestellt, hält es mit einer Hand fest und guckt aufs Meer und sagt nix. Ich glaube, der hat überhaupt nicht viel zu sagen, bei der Frau.
Tamara sagt auch nix. Man kommt bei Frau Schnabelmund sowieso nur dazwischen, wenn man genau den Moment abpasst, in dem sie atmet oder von ihrem Lumumba trinkt. Also jetzt: „Wir sind zum ersten Mal in Torrox Costa. Ist echt schön hier, der lange Strand und die tollen Gärten mit den Swimmingpools …“
Frau Schnabelmund schluckt mit langem Hals und legt sofort wieder los: „Zum ersten Mal hier? Also wir kommen seit 93 hierher und 95 haben wir uns das Studio gekauft, wir sind ja in Laguna Beach, 45 Quadratmeter mit Loggia, Meerseite, das ist die Wohnanlage mit den tollen großen Gärten, in denen oft Hochzeiten fotografiert werden, weil das bei uns soschön ist, wie, kennense nich? Zweihundert Meter Richtung Torrox, da, wo der riesige Pool ist, Olympiamaße hat unser Pool und sechs Bademeister, das ist hier Vorschrift bei den Spaniern.“
Frau Schnabelmund wartet tatsachlich auf meine Reaktion und ich sage: „Oh, wie toll!“
„Toll? Teuer! Das muss doch alles auch bezahlt werden! Wir zahlen fünfzehnhundert Euro Hausgeld im Jahr, das ist nur für die Gemeinschaftseinrichtungen und so weiter. Und die Spanier, da sind auch ein paar Spanier dabei, denen Wohnungen in unserer Anlage gehören, die zahlen oft einfach nicht, und das Geld fehlt uns natürlich. Der Pool war zum Beispiel ein Jahr lang leer, kein Geld für die sechs vorgeschriebenen Bademeister, hieß es, aber getz, kurz bevor die Spanier große Ferien haben und mit Sack und Pack und Sippe hier antanzen, getz lassen sie den Pool volllaufen! Aber nicht mit mir, kann ich Ihnen sagen, nicht mit mir! Ich bin nämlich stellvertretende Vorsitzende in der Eigentümerversammlung, wissen Sie, ich mische ganz gerne immer ein bisschen mit, und der Präsident, ein Spanier, das ist ein ganz ganz faules Ei, sag ich Ihnen!“
Ich gucke fragend, etwas zu sagen schaffe ich nicht, weil Frau Schnabelmund zu schnell atmet und Lumumba schluckt.
Sie
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