Jesses Maria - Hochzeitstag
beschimpfen lassen.
Manni hat mich in der Hochzeitsnacht über die Schwelle getragen, und zack, lagen wir auf dem Hintern und zappelten wie zwei Riesenkäfer mit den Beinen. Wenn du nach so einem langen Tag mit Lederschuhen auf getrocknete Erbsentrittst, gibt es keinen Halt mehr.
Die Luftballons wollten wir in der Küche lagern, aber die war zu klein. Im Bad war auch kein Platz. Man muss sich das mal vorstellen: Vier Uhr morgens, wir waren hundemüde, aber wir konnten nicht ins Bett. Ehebett, Nachtkonsölchen, Bettumrandung, Frisiertoilette - alles war voller Luftballons. Ich hab dann Sicherheitsnadeln geholt und wir entsorgten die Ballons auf die schnelle Art. Wir waren noch nicht mal halb fertig, als die Feuerwehr kam. Frau Kracht von gegenüber hatte sie alarmiert, „heftige Gasexplosion“ hatte sie gemeldet. Die Feuerwehrleute waren auch auf unserer Hochzeit gewesen und hatten ordentlich getankt. Die fanden den vergeblichen Einsatz überhaupt nicht lustig. Ich auch nicht. Hochzeitsnacht und Romantik hatten sich damit erledigt. War ja schon hell, als Manni und ich alleine waren.
Und um neun mussten wir wieder im Bürgerhaus sein, zum Aufräumen. Wir waren die Einzigen. Alle, die zugesagt hatten, uns dabei zu helfen, hatten „verschlafen“. Wir mussten den Schlüssel zum Bürgerhaus mittags abgeben und alles besenrein hinterlassen. Das war der erste Tag unserer Ehe: Wir haben gemeinsam das Bürgerhaus geputzt.
Fünfundzwanzig Jahre. Das Bürgerhaus gibt es heute nicht mehr, das haben sie vor ein paar Jahren abgerissen, weil es marode war. Aber eigentlich ist das jetzt alles ganz egal, denn wir feiern nicht. Es gibt keine Silberhochzeit, kein Fest, keine Gäste, keinen Manni und mich.
Unsere Ehe war irgendwann genauso marode wie das Bürgerhaus, wir haben uns nur schwerer getan mit dem Abriss. Wo früher das Bürgerhaus stand, ist heute ein Parkplatz. Undwo früher meine Ehe war, ist heute Freiheit. Ich gebe zu, manchmal ist es auch Einsamkeit, aber die Grenze ist schwierig zu ziehen.
Als ich Manni kennenlernte, das war bei der Verlobung von Eva und Rolf Hansmeier im „Kühlen Born“, da stand er an der Theke und sah aus wie Udo Jürgens. Nicht so groß, nicht so schlank, aber vom Gesicht her war da durchaus Ähnlichkeit. Die legten dann zufällig von Udo Jürgens „Es wird Nacht Senorita“ auf und Manni sang mit und prostete mir zu und zwinkerte. Ganz süß, wirklich. Dass er den Text kannte, fand ich toll. Wir haben Brüderschaft getrunken. Mit Persico, rotes Gift, süß und lecker, ich weiß gar nicht, ob es das heute noch gibt. Damals verklebte es mir offensichtlich nicht nur den Gaumen, sondern auch das Gehirn, anders kann ich mir die folgenden Jahre nicht erklären.
Dann hab ich Manni ein paar Wochen später im „Rodeo“ getroffen, das war die Diskothek an der Heinrichstraße, in der ein farbiger Discjockey auflegte. Heute sagt man „farbig“, wir nannten ihn Neger-Joe und er fand das selber völlig in Ordnung. (Man aß damals auch Negerküsse und keine Schokoküsse, Telefone hatten Wählscheiben, Twix hieß noch Raider und Mineralwasser war klarer Sprudel.) Jedenfalls bin ich mit Manni nach diesem Abend „richtig“ zusammengekommen. Er stand am Tresen und trank Ballantines-Cola und sah immer noch aus wie Udo Jürgens. Bisschen dicker vielleicht.
Ich ging hin, sagte: „Na?“ und er sagte: „Selber na!“ Und dann sagte ich: „Wie isses?“ und er sagte: „Muss ja. Und selbst?“ Ich zuckte die Schultern.
Dann spielten sie „Ich bin der goldene Reiter“, und Mannisang sofort mit und zog mich auf die Tanzfläche, und wir haben getanzt. Er machte dabei solche Bewegungen wie ein Reiter, der Zügel hält.
„Ich hab heute nichts versäumt, denn ich hab nur von dir geträumt …“ Und dabei zeigte er immer mit dem Finger auf mich, wenn Nena den Refrain sang. Das war ziemlich romantisch.
Wir waren schon eine Weile zusammen, da schenkte Manni mir eine Langspielplatte von Udo Jürgens. Ich sammelte LPs von Udo Jürgens. Und ich sammelte Fotos von ihm und Zeitungsausschnitte über ihn, die klebte ich in ein Heft, und wenn ich träumen wollte, schaute ich mir dieses Heft an. Moment.
Die Langspielplatten müssen noch irgendwo sein. Die hab ich nie weggegeben, weil das klassische Musik ist, zeitlos und immer schön, und die Texte passen immer. Jahrelang hab ich alle Platten von „Uns Udo“ rauf und runter gehört und kannte jeden Titel auswendig. Ich hab mir später manchmal vorgestellt,
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