Jesses Maria - Hochzeitstag
trafen wir Anne Vogt, eine dürre Mittdreißigerin, die immer im Flüstermodus sprach.
„Wissen Sie, was da los ist?“, fragte ich, „die beiden Damenaus dem Parterre grüßen uns nicht.“
Anne Vogt sah sich nach rechts und links um und flüsterte dann hinter vorgehaltener Hand: „Haben Sie neulich Fisch gegessen?“
„Wie bitte? Wie meinen Sie das?“, fragte ich.
„Haben Sie in letzter Zeit Fisch gegessen?“, wiederholte Anne Vogt und fügte wispernd hinzu: „Wir waren es nicht, und die Güselems waren es auch nicht. Ich glaube, Türken essen gar keinen Fisch.“
„Worum geht es hier überhaupt?“, mischte sich Manni endlich ein. Anne Vogt erklärte, dass die Biomülltonne gestunken habe. Daraufhin hätten die Parterredamen den Müll durchsucht. Und Fischgräten darin gefunden. Und dann habe man im Haus recherchiert und festgestellt, dass nur wir als Täter in Betracht kamen.
Manni war jetzt richtig sauer, drehte sich auf dem Absatz um und lief wieder runter vor die Haustür, wo die Parterredamen den Inhalt der Tonne mit leidenden Mienen und rosa Gummihandschuhen bereits in einen Plastiksack umgefüllt hatten.
Ich guckte aus dem Fenster im Treppenhaus. Grade begannen sie, die Biomülltonne mit heißem Wasser sorgfältig auszuwaschen und von innen und außen zu polieren.
„Herr Jesse, das geht so nicht!“, jammerte die Olschewski mit weinerlicher Stimme. Manni zog eine Augenbraue hoch und sagte: „Was ist hier los?“
Die Alte zeterte: „Sie können doch bei diesem Wetter keinen Fisch in den Müll werfen! Das geht doch nicht! Dasstinkt doch zum Himmel. Das hat es hier noch nie gegeben!“
„Sie wollen mir doch nicht sagen, es stünde in irgendeiner Ordnung und Anweisung, dass in diesem Haus Fisch essen verboten ist! Und wohin soll ich die Gräten werfen, wenn nicht in den Müll? Soll ich sie etwa essen, damit der Mülleimer nicht nach Mülleimer riecht?“, rief Manni und stapfte ins Haus, ohne die Antwort abzuwarten.
Und obwohl wir doch wirklich keinen Ärger gewollt hatten, bekamen wir nun welchen.
Am nächsten Morgen waren alle Mülltonnen mit Kreppband zugeklebt. Frau Schneeberg erklärte mir dazu (sie passte mich ab, als ich die Kinder zur Schule brachte), dass jetzt jede Partei einen eigenen Mülleimer bestellen müsse, man habe nur aus Rücksicht auf die neuen Mieter bisher geduldet, dass diese die vorhandenen Tonnen benutzten.
Es dauerte vier Wochen, bis wir den eigenen Mülleimer hatten, bis dahin entsorgten wir unseren Müll in öffentlichen Papierkörben. Was sollten wir denn machen, wenn die Mülleimer zugeklebt waren?
Von da an hielten wir uns aber auch an die Mülleimerbenutzungsordnung, denn wir wollten nicht noch einmal Ärger bekommen.
Die großen Ferien begannen, und wir fuhren in diesem Jahr nicht weg. Der Umzug war zu teuer gewesen. Dafür durften die Kinder lange draußen spielen.
Sie spielten auf der Straße mit den beiden Kindern von Familie Vogt aus der mittleren Etage. Und damit die vier nicht jedes Mal, wenn sie zur Toilette mussten oder wastrinken wollten, an der Haustür schellten, sagte ich, sie sollten die Haustür einfach offen lassen, solange sie auf der Straße vor der Tür spielten. Wenige Tage später klebte ein großer weißer Zettel gut sichtbar im Treppenhaus:
„MITBEWOHNER WERDEN GEBETEN, HAUSTÜR VERSCHLOSSEN ZU HALTEN!“
Ich konnte es nicht glauben. Die Tür war nur so lange offen gewesen, wie die Kinder davor gespielt hatten! Jetzt reichte es mir. Jedes Mal, wenn ich das Haus verließ oder betrat, schloss ich die Haustür hinter mir ab. Wenn nun jemand die alten Schachteln besuchen wollte, mussten die bis zur Tür laufen, weil sie sie nicht mit dem Türöffner öffnen konnten. Ich freute mich diebisch über meinen Streich. Bis der Brief von der Hausverwaltung kam.
Darin stand, dass Mitbewohner sich darüber beschwert hätten, dass die Haustür Tag und Nacht offen stünde, seitdem Familie Jesse hier wohne. Und das Treppenhaus sei auch ständig dreckig und in einem katastrophalen Zustand.
Seit Jesses hier wohnen. Nun ging es aber gegen meine Ehre. Ich war doch kein Schwein und meine Kinder und mein Mann auch nicht. Ich atmete tief durch und machte mich auf den Weg zu den beiden, um ihnen ordentlich die Meinung zu sagen. Ich hatte noch gar nicht bei der Frau Olschewski geklingelt, als die Wohnungstür ruckartig aufgerissen wurde.
„Frau Jesse!“, kreischte sie mir entgegen. Ich wollte antworten, doch die sie ließ mich nicht zu Wort
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