Jesses Maria - Hochzeitstag
ihren Rundgang durch Haus und Keller machte. Frau Olschewski zuckte zusammen, als sie mich sah. Sie hatte ein langes Hauskleid aus blassrosa Nickistoff an und trug rosa Satinpantoffeln mit Absatz und Puschel. Ihre Haare hatte sie mit Metallclipsen am Kopf festgesteckt.
Ich lächelte wirklich freundlich und streckte ihr die Hand entgegen: „Sie müssen Frau Olschewski sein – angenehm,Maria Jesse, wir sind vorige Woche eingezogen.“
Die Alte schob lasch ihre Hand in meine und sagte mit unangenehmer Stimme: „Jaja. Aber um diese Zeit dürfen Sie nicht mehr waschen. Haben Sie denn die Hausordnung nicht gelesen?“
„Ich wasche nicht, ich hänge nur die nasse Wäsche auf.“
„Aber doch nicht dort! Nicht auf den grünen Leinen. Die grünen Leinen gehören zum Parterre. Für das Obergeschoss sind die gelben Leinen, die mittlere Etage hat blaue. Die Wäscheleinenbenutzungsordnung hängt im Trockenraum, haben Sie das denn nicht gesehen?“
Ich hielt mich an die Wäscheleinenbenutzungsordnung. Montags bis freitags hängte ich nur auf den gelben Leinen auf. Am Wochenende war die Benutzung der Waschküche nicht gestattet.
Nach ein paar Wochen haben wir uns einen Trockner auf Raten gekauft, weil die beiden Leinen für die Wäsche von vier Personen nicht ausreichten. Wir wollten ja keinen Ärger bekommen.
Den gab es allerdings schon am nächsten Tag, als die Kinder ihre Fahrräder in den Fahrradkeller stellten. Ich lernte Uschi Schneeberg kennen: eine elegante, große Frau Anfang sechzig, die früher bestimmt mal hübsch gewesen war.
„Frau Jesse, Sie können es ja nicht wissen, aber die Fahrräder von Frau Olschewski und mir stehen seit fünfundzwanzig Jahren genau dort. Und so soll es auch bleiben“, betonte sie sanft und wohlwollend lächelnd.
Wir hielten uns genau an das Fahrradsortiersystem, dennwir wollten keinen Ärger.
Nach einigen Tagen schickte ich die Kinder in den Garten hinter dem Haus. „Aber nicht Fußball spielen, das ist hier nicht erlaubt“, ermahnte ich sie. Ich guckte vom Balkon aus in den Garten und sah, dass die Kinder sich auf einen Mauerpfeiler gesetzt hatten und mit ihren Gameboys spielten. Ich weiß noch, dass ich dachte: Wenigstens sind sie an der Luft, wenn sie schon mit diesen Dingern spielen, als es an der Wohnungstür klingelte.
Die Olschewski stand wutschnaubend vor der Tür, verzichtete auf eine Begrüßung und keifte: „Das hat es ja noch nie hier gegeben! Was machen denn die Kinder im Garten? Spielen ist da nicht erlaubt, dann haben wir ja auf unserem Balkon nie mehr unsere Ruhe. Frau Jesse, das geht so nicht!“
Ich war ganz freundlich, wirklich: „Aber die Kinder sind doch ganz leise, sie spielen Gameboy, das stört doch niemanden!“
„Nein, das war noch nie erlaubt, und das bleibt auch so!“
Unten öffnete sich eine Tür und Frau Schneeberg kam die Treppe herauf. Sie säuselte: „Das ist ganz richtig, Frau Jesse, Kinder dürfen nicht in den Garten. Als meine Kinder noch klein waren, durften sie das auch nicht, das war hier schon immer so.“
Ich verstand es nicht, aber ich ließ die Kinder nicht mehr in den Garten. Wir wollten ja keinen Ärger.
Eines Tages klingelte Frau Schneeberg bei uns und bat darum,das Geld für die Gartenpflege einsammeln zu dürfen.
„Wie bitte?“, fragte ich, ich hatte mich bestimmt verhört.
Frau Schneeberg erklärte mir leise und geduldig, dass die Hausgemeinschaft seit fünfundzwanzig Jahren einen Gärtner beschäftige, der den Rasen mähe und die Beete im Vorgarten in Ordnung hielte. Dafür zahle jede Mietpartei pro Jahr einen Beitrag von zweihundertfünfzig Mark.
Ich traute meinen Ohren nicht und fragte: „Wir sollen eine solche Summe für die Pflege des Gartens bezahlen, den unsere Kinder nicht betreten dürfen?“
„Ja, das war hier schon immer so“, antwortete Frau Schneeberg milde lächelnd.
„Darüber rede ich erst mal mit der Hausverwaltung“, rief ich und knallte die Tür zu.
Wir bezahlten den Beitrag für die Gartenpflege, wir wiesen die Kinder an, den Garten nicht zu betreten, wir hielten uns an das Fahrradsortiersystem und natürlich beachteten wir die Wäscheleinenbenutzungsordnung. Wir wollten ja keinen Ärger.
An einem heißen Tag kamen wir aus dem Schwimmbad. Vor der Haustür standen Frau Olschewski und Frau Schneeberg und diskutierten. Als wir grüßend an ihnen vorbeigingen, verstummte das Gespräch. Niemand grüßte zurück. Beide trugen rosa Gummihandschuhe. Das war schon komisch.
Im Treppenhaus
Weitere Kostenlose Bücher