Jesus liebt mich
verrückt!»
Papa antwortete mit einer Mischung aus Trotz und Trauer: «Du gönnst mir mein Glück nicht.»
Das traf mich. Natürlich gönnte ich ihm jedes Glück. Seit meinem zwölften Lebensjahr, seit dem Tag, als Mama ihn verlassen hatte, wollte ich Papa wieder glücklich sehen.
Als er damals, weiß wie eine Wand, vor mir stand und mir erklärte, dass Mama ausgezogen sei, konnte ich es nicht glauben. Ich fragte ihn, ob es denn gar keine Chance gebe, dass sie wieder zu uns zurückkehrt.
Er schwieg. Lange. Schließlich schüttelte er nur stumm den Kopf. Dann begann er zu weinen. Ich brauchte eine Weile, bis ich es überhaupt realisierte: Mein Papa weinte. Als er gar nicht mehr aufhören konnte, nahm ich ihn in die Arme. Und er weinte an meiner Schulter.
Keine Zwölfjährige sollte ihren Papa so weinen sehen.
Ich dachte nur: «Lieber Gott, bitte mach, dass alles wieder gut wird. Dass Mama wieder zu ihm zurückkommt.» Aber mein Gebet wurde nicht erhört. Vielleicht musste Gott ja gerade Leute in Bangladesch vor einer Flutkatastrophe retten.
Jetzt war Papa endlich wieder glücklich, nach all den Jahren. Aber anstatt mich für ihn zu freuen, hatte ich nur Angst, ihn nochmal weinen zu sehen. Diese Swetlana würde ihm mit Sicherheit das Herz brechen.
Entschlossen sagte er zu mir: «Und damit du es weißt, ich bringe Swetlana mit zur Hochzeit.»
Dann ging er hinaus und knallte dabei die Tür zu, ein bisschen zu theatralisch, wie ich fand. Ich starrte noch etwas aufdie Tür, schließlich fiel mein Blick wieder auf die Sitzordnung. Und die Migräne setzte ein.
4
Egal, was Pastor Gabriel von mir dachte, ich betete öfter mal zu Gott. Ich glaubte zwar nicht hundertprozentig an einen allmächtigen Herrn im Himmel, hoffte aber sehr, dass es ihn gab. So betete ich, wenn ein Billigflieger, in dem ich saß, startete und landete. Oder vor der Ziehung der Lottozahlen. Oder wenn ich wollte, dass der ständig laut singende Operntenor in der Wohnung unter uns seine Stimme verliert.
Vor allen Dingen aber betete ich, dass diese Swetlana meinem Papa nicht das Herz brach.
Meine ältere Schwester Kata, die mit ihren blonden, wilden Haaren aussah wie eine widerborstige Version von Meg Ryan, fand meine Gebete albern, und das sagte sie mir auch. Sie war eine Woche vor der Hochzeit nach Malente angereist, und wir joggten gerade gemeinsam um den Malenter See.
«Marie», lächelte Kata, «wenn es einen Gott gibt, warum gibt es dann so Dinge wie Nazis, Kriege oder Modern Talking?»
«Weil er den Menschen den freien Willen gegeben hat», antwortete ich, Gabriel zitierend.
«Und warum gibt er den Menschen einen freien Willen, mit dem sie sich gegenseitig quälen?»
Ich überlegte eine Weile, dann antwortete ich geschlagen: «Touchez.»
Kata war schon immer die Abgeklärtere von uns beiden. Mit siebzehn schmiss sie die Schule, ging nach Berlin, hatte dort ihr Coming-out als Lesbe und startete eine Karriere als Zeichnerin eines täglichen Comicstrips einer überregionalen Zeitung. Mit dem Titel «Sisters». Über zwei Schwestern. Über uns.
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Kata hatte von uns beiden auch die viel bessere Kondition. Sie schnaufte kein bisschen, während ich schon nach achthundert Metern den schönen Malenter See nicht mehr halb so schön fand.
«Sollen wir aufhören zu laufen?», fragte sie.
«Ich muss … bis zur Hochzeit noch zwei Kilo abnehmen», keuchte ich.
«Dann wiegst du immer noch 69», grinste Kata.
«Kein Mensch mag schlanke Klugscheißer», konterte ich hechelnd.
«Es ist doch schön, wenn Papa nach zwanzig Jahren Abstinenz mal Sex hat», brachte Kata das Thema auf www.amore-osteuropa.com .
Papa hatte Sex?
Das war ein Bild, das ich nie vor Augen haben wollte! Das sich aber gerade zu meinem Entsetzen in meine Hirnrinde einfräste.
«Er ist dabei bestimmt glücklich und …»
Weiter kam Kata nicht, ich hielt mir die Hände an die Ohren und sang laut: «Lalala, ich will das gar nicht hören. Lalalala, das interessiert mich nicht.»
Kata hörte auf zu reden. Ich nahm die Hände wieder von den Ohren.
«Obwohl Männer», hob Kata lächelnd wieder an, «die wie Papa so lange ohne feste Bindung waren, zwischendrin sicher mal zu Prostituierten gehen …»
Ich nahm erneut die Hände an die Ohren und sang so laut ich konnte: «Lalalala, wenn du noch weiterredest, hau ich dich …»
Kata schmunzelte: «Ich bin immer wieder beeindruckt, wie erwachsen du doch bist.»
Ich war viel zu sehr außer
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