Jesus liebt mich
eleganten schwarzen Designeranzug zurecht und setzte sich auf die schattige Parkbank, auf der eben noch die beiden Schwestern verschnauft hatten. Er saß dort eine Weile und wartete auf etwas. Oder jemanden. Dabei bewarf er einige Enten im See so scharf und gezielt mit Kastanien, dass sie davon k. o. gingen und ertranken. Aber auch dieser kleine Spaß konnte dem Mann keine Freude bereiten. Er war müde. Sehr müde. Er litt unter dem Burn-out-Syndrom. Dieses verdammte letzte Jahrhundert!
Vorher ging es ja noch, aber seitdem: Egal, wie er sich auch anstrengte, die Menschen waren einfach viel, viel besser darin, sich die Hölle auf Erden zu bereiten, als er, Satan.
Sicher, er hatte auch ein paar gute Ideen entwickelt, um die Menschen zu quälen: Neoliberalismus, Reality-TV, Modern Talking (auf den Song
Cheri, Cheri, Lady
war er besonders stolz) , aber alles in allem konnte er den Menschen nicht mehr das Wasser reichen. Die waren mit ihrem blöden freien Willen viel zu kreativ.
«Lange nicht mehr gesehen» , sagte plötzlich eine Stimme hinter ihm.
Satan drehte sich um und sah … Pastor Gabriel.
«Das letzte Mal vor ziemlich genau 6000 Jahren» , erwiderte Satan, «als er mich aus dem Himmel rauswarf. Oder besser gesagt: runterwarf.»
Gabriel nickte: «Das waren noch Zeiten.»
«Ja, das waren sie» , nickte Satan.
Die beiden lächelten sich an wie zwei Männer, die einstmals befreundet waren und es tief in ihrem Herzen bedauern, dass sie es nicht mehr sind.
«Du siehst müde aus» , sagte Satan zu Gabriel.
«Danke gleichfalls» , erwiderte Gabriel.
Die beiden lächelten sich noch mehr an.
«Also, wozu dieses Treffen?» , wollte Satan wissen.
«Ich soll dir etwas von Gott ausrichten» , antwortete Gabriel.
«Und was?»
«Das Jüngste Gericht steht vor der Tür.»
Satan überlegte eine Weile, dann seufzte er erleichtert: «Wurde ja auch langsam mal Zeit.»
6
Unsere Hochzeit begann wie bei vielen anderen Paaren auch: mit einem mittleren Nervenzusammenbruch der Braut. Zitternd stand ich vor dem Eingang der Kirche, in der die Gäste auf meinen Auftritt warteten. Eigentlich war fast alles so perfekt, wie ich es mir immer gewünscht hatte: Die Kirchenbänke waren voll, alle würden gleich mein wunderbares weißes Kleid bestaunen, in das ich nun auch sehr gut reinpasste, weil ich es tatsächlich geschafft hatte, drei Kilo herunterzuhungern. Aber das Beste war: Wir hatten die standesamtliche Hochzeit übersprungen! Ich würde also ganz romantisch in der Kirche mein Jawort geben, und der Standesbeamte würde anschließend noch vor Ort die Sache staatlich beglaubigen. Wie gesagt, fast alles war perfekt. Es gab nur ein Problem: Mein Papa wollte die Braut nicht mehr hineinführen.
«Du hättest», sagte Kata zu mir, «seine Swetlana einfach nicht so hart beschimpfen sollen.»
«Ich hab sie nicht hart beschimpft», erwiderte ich mit Tränen in den Augen.
«Du hast sie ‹Wodka-Nutte› genannt.»
«Okay, ich hab sie vielleicht doch hart beschimpft», gab ich zu.
Bevor ich in die Kutsche zur Kirche stieg, hatte ich mir eigentlich fest vorgenommen, bei meinem ersten Zusammentreffen mit Swetlana ganz cool zu bleiben. Als ich dann aber tatsächlich auf diese zwar stark geschminkte, aber dennoch hübsche, zierliche Frau traf, war mir klar, dass sie meinem Papa das Herz brechen würde. So ein junges Model konnte sich gar nicht in ihn verliebt haben! Ich sah vor meinem geistigen Auge, wie Papa wieder in meinen Armen weinte. Und da ich diese Vorstellung nicht ertragen konnte, bat ich Swetlana, sich wieder nach Weißrussland zu verziehen. Oder gleich nach Sibirien durchzufahren. Das machte Papa wütend. Er beschimpfte mich. Ich versuchte ihm klarzumachen, dass er nur ausgenutzt würde. Er beschimpfte mich noch mehr. Da rastete ich aus. Da ich ausrastete, rastete auch er aus. Und da fielen nun mal Begriffe wie «Wodka-Nutte», «undankbare Tochter» und «Viagra-Papa».
Warum nur tut man immer den Menschen am meisten weh, die man vor sich selbst schützen will?
«Komm», sagte Kata, trocknete meine Tränen und nahm mich an der Hand. «Ich führe dich hinein.»
Sie öffnete mir die Tür, das Orgelspiel begann. Am Arm meiner geliebten Schwester betrat ich möglichst würdevoll die wunderschöne Kirche und machte mich auf den Weg Richtung Altar. Die meisten der anwesenden Gäste hatte Sven eingeladen. Viele waren mit ihm verwandt; und die anderen waren seine Freunde aus dem Fußballverein, seine
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