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Jesus liebt mich

Jesus liebt mich

Titel: Jesus liebt mich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Safier
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Kollegen aus dem Krankenhaus, Leute aus der Nachbarschaft   …Ach, eigentlich war halb Malente mit Sven verwandt oder befreundet. Ich selbst hatte bei weitem nicht so viele Freunde. Eigentlich nur einen richtigen, er saß in Reihe fünf: Michi war ein dünner, klappriger Kerl, hatte wirres Haar und trug ein T-Shirt mit der Aufschrift «Schönheit ist total überbewertet».
    Wir beide kannten uns schon seit den Schulzeiten. Damals gehörte er einer echt freakigen Minderheit an: Er war ein katholischer Messdiener.
    Auch heute noch war Michi der einzige richtig gläubige Mensch, den ich kannte. Jeden Tag las er in der Bibel, über die er mal zu mir sagte: «Marie, was in der Bibel steht, muss einfach stimmen. Die Storys sind so durchgeknallt, das kann sich gar kein Mensch ausgedacht haben.»
    Michi nickte mir aufmunternd zu, und ich konnte wieder lächeln. In Reihe drei sah ich meinen Vater, und ich hörte schlagartig wieder auf damit. Er war immer noch wütend auf mich, während Swetlana ganz verunsichert auf den Boden blickte und sich wahrscheinlich fragte, was wir Deutsche so unter Gastfreundschaft verstanden. Und unter verwandtschaftlichem Zusammenhalt.
    In Reihe eins, absichtlich weit weg von Papa, saß meine Mutter, die mit ihren kurzen, rotgefärbten Haaren ein bisschen aussah wie eine Betriebsratsvorsitzende. Sie wirkte viel vitaler als damals, als sie im blauen Bademantel am Frühstückstisch saß und mit müdem Gesicht zu Kata und mir sagte: «Ich trenne mich von eurem Vater.»
    Mama erklärte uns geschockten Kindern bemüht sanft, dass sie Papa schon lange nicht mehr liebe, dass sie nur wegen uns bei ihm geblieben sei und dass sie einfach nicht weiter eine Lüge leben könne.
     
    Heute weiß ich, dass es für sie der richtige Schritt war. Schließlich konnte sie ihren Traum vom Psychologiestudium verwirklichen, den Papa immer blockiert hatte. Sie lebte nun in Hamburg, hatte dort eine Praxis für – ausgerechnet – Paartherapie und war viel, viel selbstbewusster als je zuvor. Dennoch wünschte sich ein Teil von mir immer noch, dass Mama damals die Lüge weitergelebt hätte.
     
    «Eine Ehe zu führen ist schwer», verkündete Pastor Gabriel bei der Predigt mit seiner sonoren Stimme, «aber alles andere ist noch schwerer.»
    Es war nicht gerade eine «Was-für-ein-schöner-Tag-lasst-uns-jubilieren-und-frohlocken»-Predigt. Aber das war von Pastor Gabriel auch nicht anders zu erwarten gewesen. Ich war ja schon froh, dass sich sein Vortrag nicht um «Menschen, die meine Kirche für Events missbrauchen» drehte.
    Sven sah mich während der Predigt in einer Tour überglücklich an. So überglücklich, dass ich es nicht ertragen konnte, nicht so überglücklich zu sein wie er, obwohl ich doch so gern so überglücklich sein wollte und es wohl nur noch nicht war, weil ich von dem Streit mit Papa zu durcheinander war.
    Ich bemühte mich, nun auch zu strahlen. Aber je mehr ich mich bemühte, desto verkrampfter wurde ich. Vor lauter schlechtem Gewissen gegenüber Sven sah ich von ihm weg, schaute mich ein bisschen in der Kirche um und blieb mit meinem Blick an einem Jesus-Kreuz hängen. Zuerst schossen mir dumme Sprüche durch den Kopf, die wir als Pubertierende im Konfirmandenunterricht gemacht hatten: «Hey, Jesus, was machst du denn hier?» – «Ach, Paulus, ich häng hier nur so rum.»
    Aber dann sah ich die roten Punkte an den Händen, wo dieNägel durchgehauen worden waren. Ein Schauer durchlief meinen Körper. Kreuzigen, was war das nur für ein brutaler Mist? Wer hatte sich das überhaupt ausgedacht? So etwas unglaublich Grausames! Wer auch immer das war, musste eine echt schlimme Kindheit gehabt haben.
    Und Jesus? Der wusste doch, was auf ihn zukommen sollte. Warum hat er sich dem ausgesetzt? Klar, um all unsere Sünden auf sich zu nehmen. Das war ein beeindruckendes Opfer für die Menschheit. Aber hatte Jesus denn überhaupt eine Wahl? Konnte er es sich aussuchen, sich zu opfern? Es war doch seine Bestimmung, schon von Kindesbeinen an. Dafür hatte ihn sein Vater auf die Erde geschickt. Aber was war das für ein Vater, der so ein Opfer von seinem Sohn verlangte? Und was hätte die Super Nanny zu diesem Vater gesagt? Höchstwahrscheinlich: «Geh doch bitte mal in die Wuthöhle.»
     
    Plötzlich bekam ich Angst: Es war sicher keine gute Idee, in der Kirche Gott zu kritisieren. Schon gar nicht bei der eigenen Hochzeit.
    Entschuldige bitte, Gott, sprach ich in Gedanken zu ihm. Es ist nur, musste Jesus so

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