Jesus liebt mich
andere Stelle als ausgerechnet beim «Malenter Kurier», und die auch nur, weil mein Vater den Verleger kannte. Mit einunddreißig Jahren in meinen Heimatort zurückzukehren war für mich so, wie mit einem Schild herumzulaufen, auf dem stand: «Hallo, ich habe in meinem Leben aber so was von komplett versagt.»
Der Vorteil, in so einer verstaubten Redaktion zu arbeiten, lag lediglich darin, dass ich genug Zeit hatte, mir über die Sitzordnung der Hochzeitsfeier Gedanken zu machen, was bekanntlich eine Wissenschaft für sich ist. Besonders beschäftigte mich die Frage, wie ich meine geschiedenen Eltern positionieren sollte. Während ich mir darüber den Kopf zerbrach, betrat Papa die Redaktion und machte die Sache mit der Sitzordnung noch komplizierter. Migräne verursachend kompliziert.
«Ich muss dir dringend etwas erzählen», begrüßte er mich. Ich war verwundert, lag doch ein Strahlen in seinem sonst so blassen Gesicht. Er hatte reichlich Eau de Cologne aufgetragen, und seine wenigen verbliebenen Haare waren ausnahmsweise gekämmt.
«Du, Papa, kann das noch ein bisschen warten?», fragte ich. «Ich habe keine Zeit, ich muss einen Artikel schreiben über alles, was ich noch nie über die Beseitigung von Exkrementen wissen wollte.»
«Ich habe eine Freundin», platzte es aus ihm heraus.
«Du … du … Das ist ja wunderbar», stammelte ich und vergaß die Exkremente.
Papa hatte eine Freundin? Das war eindeutig eine Überraschung. Ich malte mir aus, wer diese Frau wohl sein mochte: eine ältere Dame aus dem Kirchenchor vielleicht? Oder eine Patientin aus seiner Urologenpraxis (obwohl ich mir die erste Begegnung lieber nicht so genau vorstellen mochte).
«Sie heißt Swetlana», strahlte Papa.
«Swetlana?», wiederholte ich und versuchte sämtliche Vorurteile gegenüber slawisch klingenden Frauennamen aus meinen Gedanken zu verdrängen. «Klingt … nett …»
«Sie ist nicht nur nett. Sie ist großartig», strahlte er noch mehr.
Mein Gott, er war verliebt! Das erste Mal seit über zwanzig Jahren. Und obwohl ich mir das immer für ihn gewünscht hatte, war ich mir gerade nicht ganz sicher, wie ich das finden sollte.
«Du wirst dich bestimmt gut mit Swetlana verstehen», sagte Papa.
«Ah ja?»
«Ihr habt ein Alter.»
«Was?!?»
«Jedenfalls fast.»
«Was heißt das? Ist sie vierzig?», fragte ich.
«Nein, sie ist fünfundzwanzig.»
«Wie alt?»
«Fünfundzwanzig.»
«WIE ALT?»
«Fünfundzwanzig.»
«WIEEEE ALT???»
«Warum fragst du das immer wieder?»
Weil sich mein Hirn bei der Vorstellung, dass mein Vater eine fünfundzwanzigjährige Freundin hatte, der Kernschmelze näherte.
«Wo, wo, woher kommt sie denn genau?», fragte ich, um Contenance bemüht.
«Aus Minsk.»
«Russland?»
«Weißrussland», korrigierte er mich.
Ich schaute mich irritiert um und hoffte, irgendwo eine versteckte Kamera zu erspähen.
«Ich weiß, was du jetzt denkst», sagte Papa.
«Dass hier bestimmt eine versteckte Kamera ist?»
«Gut, ich weiß doch nicht, was du denkst.»
«Was hast du denn gedacht, was ich dachte?», fragte ich.
«Dass Swetlana auf mein Geld aus ist, nur weil ich sie über eine Partnervermittlung im Internet kennengelernt habe …»
«Du hast sie wo kennengelernt?», unterbrach ich ihn.
«Bei www.amore-osteuropa.com.»
«Oh, www.amore-osteuropa.com – das klingt ja total seriös!»
«Du bist ironisch, oder?»
«Und du naiv», erwiderte ich.
«Auf www.Partnervermittlungs-Test.de hat die Agentur die besten Ratings», hielt er dagegen.
«Na, wenn www.Partnervermittlungs-Test.de das sagt, dann ist Swetlana sicherlich eine hochanständige Frau, die weder Interesse an deinem Geld noch der deutschen Staatsbürgerschaft hat», ätzte ich.
«Du kennst Swetlana doch gar nicht!» Papa war nun sehr beleidigt.
«Aber du?»
«Ich war letzten Monat in Minsk …»
«Halt, halt, halt – alle Maschinen stopp!» Ich sprang von meinem Stuhl auf und baute mich vor ihm auf. «Du hast mir doch erzählt, du besuchst mit dem Kirchenchor Jerusalem. Du hattest dich doch so auf die Grabeskirche gefreut.»
«Ich habe gelogen.»
«Du hast deine eigene Tochter angelogen?» Ich konnte es nicht fassen.
«Weil du mich sonst aufgehalten hättest.»
«Und zwar mit Waffengewalt!»
Papa atmete durch: «Swetlana ist ein extrem reizendes Wesen.»
«Ja, das glaub ich. Sie reizt mich ja jetzt schon», erwiderte ich.
«Aber …»
«Nichts aber! Sich auf so eine Frau einzulassen ist
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