Jesus von Nazaret
»Radikalität« hat. 4 Eine Radikalität freilich, der es nicht darum geht, immer dagegen zu sein, sondern die immer eine Alternative aufzeigt, ein Leben, das möglich und »sinnvoll« ist. Jesus ist somit auch das »Dynamit«, das die Kirche und das Christentum vor Erstarrung bewahrt und beide zwingt, sich immer wieder zu hinterfragen. Jesus wollte ein Ãrgernis sein in dem Sinne, dass er sich den Ansichten und Vorurteilen der Menschen immer wieder entzogen hat. Es erwies sich, dass er immer anders, tiefer und gröÃer war als die Bilder, mit denen ihn die Menschen festlegen wollten. Das »Heil«, das er versprach, überstieg die herkömmlichen, oft allzu menschlichen Anschauungen über ihn und seine Sendung. Insofern ist Jesus eine stete Herausforderung â und damit auch eine Aufforderung an uns, auch von uns selbst gröÃer, »göttlicher« zu denken.
1.
K AISER, K ÃNIGE UND DIE L IEBE DES V OLKES
Sein Geburtstag wurde als die Geburtsstunde eines göttlichen Kindes und als »Evangelium« (griech.: gute Nachricht) gefeiert, er wurde als »Sohn Gottes« verehrt, als »Retter« und als Bringer einer »Goldenen Weltzeit«. »Er macht ein Ende der eisernen Zeit; eine goldene Menschheit wird die Erde erfüllen«, so pries der römische Dichter Vergil diesen Friedensstifter. 5
Die Rede ist hier nicht von Jesus von Nazaret, sondern von Kaiser Caesar Octavius Augustus in Rom. Und für die religiöse Verehrung, die ihm zuteilwurde, schien es allen Grund zu geben. Dieser Kaiser Octavian, der sich den Namen »Augustus«, der Erhabene, zulegte, hatte den römischen Bürgerkrieg beendet und seinen Rivalen Antonius ausgeschaltet. Mit seiner Alleinherrschaft begann 27 v. Chr. eine lange Friedenszeit, die »Pax Romana«. StraÃen wurden gebaut zu den entlegensten Städten und Provinzen, die Meere wurden von Piraten befreit. Jeder konnte nun ungehindert und relativ sicher reisen. DieVerwaltung der eroberten Gebiete wurde verbessert, der Handel wurde angeregt und die Wirtschaft blühte auf. Unter der Herrschaft des göttlichen Kaisers wurden so viele neue Gebiete erobert wie nie zuvor. Praktisch die ganze damals bekannte Welt gehörte zum römischen Imperium. Die römischen Legionäre waren im Norden bis Britannien, im Süden bis Ãthiopien, im Westen bis Spanien und im Osten bis Mesopotamien vorgedrungen.
Dabei erwies sich Augustus als ein »Meister der moralischen Eroberung«. Der Philosoph Nikolaos von Damaskus beschrieb Augustus als einen Mann, der den Gipfel von Macht und Weisheit erlangt und sogar die »Herzen der Menschen« gewonnen habe, zunächst mit und dann ohne Waffen. 6
Wie aber sahen diese »moralischen Eroberungen« aus? Augustus war so klug, die unterworfenen Völker nicht mit brutaler Härte und der Ãberheblichkeit des Siegers zu regieren. Natürlich wurden die eroberten Gebiete ausgebeutet und die Bevölkerung musste Steuern nach Rom zahlen. Andererseits wurde den unterworfenen Völkern eine gewisse Selbstständigkeit zugestanden und man nahm Rücksicht auf ihre Sitten und Gebräuche. Darüber hinaus schenkte Augustus ihnen die Segnungen der römischen Kultur: StraÃen, Aquädukte, Theater und Thermen. Auch die Verehrung des göttlichen Kaisers wurde in die unterworfenen Gebiete exportiert und dort auch meist angenommen. Ein Gott, dernicht nur aus Stein oder Holz war oder irgendwo weit weg im Himmel thronte, sondern der auf der Erde lebte und sichtbar war, kam den Bedürfnissen der Menschen entgegen. Abgesehen davon hatte der Kaiserkult auch eine politische Bedeutung. Wer den Kaiser verehrte und ihm opferte, der bewies seine Loyalität gegenüber Rom. Und genau das wollte Augustus erreichen. Was er erwartete, war die Dankbarkeit der eroberten Völker. Sie sollten sich freiwillig dem Imperium unterwerfen und die Ãberlegenheit der militärischen Macht und römischen Kultur anerkennen.
Wie alle totalitären Machthaber wollte Augustus auch die Herzen seiner Untertanen gewinnen. Das geschah allerdings auf der Grundlage eines hoch entwickelten Militärapparates. Wenn die Toleranz des Kaisers nicht die erwünschte Ergebenheit bewirkte, dann war es mit der Geduld schnell zu Ende und die Gewalt kam zum Einsatz. Pax Romana war ein Gewaltfrieden. Der Gottmensch Augustus konnte sich seine tolerante Haltung nur leisten, weil er jederzeit seine
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