Jesus von Nazaret
versöhntsind. Verbleiben sie in der alten Wirklichkeit, sind sie das nicht. Sie denken, dass sie vor Gottes Augen nicht bestehen können, dass sie nicht gut genug, nicht schön genug, nicht wichtig genug sind. Darum versuchen sie, auf alle möglichen Weisen, Gott zu gefallen und ihn gnädig zu stimmen, durch Opfer, durch Gottesdienste, durch ein vorbildliches moralisches Verhalten oder gute Taten. Aber all diese frommen Werke und aller religiöser Eifer sind vergeblich, weil sie auf einem Irrtum beruhen, dem Irrtum, dass Gott uns feindlich gegenübersteht, dass er versöhnt werden muss. Er ist längst versöhnt, er war es immer schon.
Wer sich von Gott abgelehnt fühlt, der lehnt sich auch selber ab und benimmt sich auch gegen seine Mitmenschen feindselig. Ebenso wie wir versuchen, Gott zu gefallen, so wollen wir auch vor unseren eigenen Augen annehmbar sein. Wenn uns das nicht gelingt, dann verlieren wir die Achtung vor uns selber, und zuletzt hassen wir uns oder empfinden Ekel vor uns. Hermann Hesse hat mit dem Beamten Friedrich Klein eine Figur geschaffen, die aus ihrer Selbstverachtung nicht mehr herauskommt. 110 Kaum ist er einmal von einer »schönen Zuversicht« erfüllt, misstraut er ihr auch schon. Ständig kritisiert und schulmeistert er an sich herum und kann sich selbst nicht ausstehen. Dieser Friedrich Klein kann einfach nicht ja zu sich sagen, er schafft es nicht, mit sich einverstanden zu sein. Und je weniger er sich selber leidenkann, desto feindseliger wird sein Verhalten gegen seine Mitmenschen. Er fühlt sich von ihnen abgelehnt, und da alle Anstrengungen, anerkannt und geliebt zu werden, scheitern, steigert er sich immer mehr hinein in seinen Selbsthass und in seinen Argwohn anderen gegenüber. Erst am Ende seines Lebens wird ihm blitzartig bewusst, was ihm gefehlt hat. Friedrich Klein konnte sich nicht »fallen lassen«. Er konnte sich nicht, so würde es der Apostel Paulus sagen, »versöhnen« lassen.
Für den Theologen Paul Tillich gehören die Versöhnung mit Gott, die Versöhnung mit sich selbst und die Versöhnung mit anderen zusammen. Jesus hat diese Versöhnung beispielhaft gelebt. Das war die Wahrheit seines Lebens. Und nur, wer diese Zuversicht, die Jesus lebte und die er seinen Jüngern lehrte, auch in seinem eigenen Leben erfährt, der weiÃ, was »Auferstehung« bedeutet, und der kann den Glauben an ein Leben nach dem Tode weitergeben.
»Auferstehung« bedeutet für Tillich Versöhnung mit Gott und damit den »Sieg der Neuen Wirklichkeit«. »Auferstehung«, so schreibt Tillich, »ist nicht ein Ereignis, das in einer fernen Zukunft vielleicht geschehen kann, nein, es ist die Macht des Neuen Seins, Leben aus Tod zu schaffen, hier und jetzt, heute und morgen [â¦] Sie ist zugleich verborgen und offenbar, zugleich dort und hier. Nehmt sie an, dringt in sie ein, lasst euch ergreifen!« 111
Wer sich ergreifen lässt, der entgeht der Gefahr, wie die Romanfigur Friedrich Klein in einem selbst gemachten Gefängnis aus Ãngsten und Misstrauen eingesperrt zu bleiben. Wer in einem solchen Gefängnis sitzt, der verbohrt sich in sein eigenes Unglück und keine Zusage, keine Hilfe von auÃen kann ihn erreichen. Auch eine eigene Schuld anzuerkennen, wird unmöglich, weil sie durch Angst oder scheinbare Argumente zugedeckt wird. Ebenso unmöglich ist es in diesem Zustand, anderen ihre Schuld zu verzeihen. Die Tore dieses Gefängnisses werden sozusagen von innen zugehalten. 112
Diese Tore können nur aufgesprengt werden durch eine Kraft, die von auÃen kommt, eine Kraft, die Vergebung schenkt. Das eindrücklichste Beispiel hierfür ist Petrus, der im Gefängnishof mit den Soldaten am Feuer sitzt und Jesus nicht kennen will. Als Petrus seinen Herrn das dritte Mal verleumdet, triff ihn Jesusâ Blick. Das ist ein ungeheurer Moment: Jesus schaut Petrus an. Und Petrus weint bitterlich. Er bricht zusammen â nicht weil ihn der Blick anklagt und ihn schuldig spricht, sondern weil er ihm vergibt. Petrus wird von Jesus nicht angeklagt, er muss sich nicht verteidigen, er muss keine Ausreden und Entschuldigungen suchen. Er erfährt eine Vergebung, die so groà ist, dass er sie nicht ertragen kann. Erst jetzt zeigt er Reue und erkennt seine Schuld. Reue geht hier also nicht der Vergebung voraus, sondern es ist umgekehrt: Erst Vergebung macht Reue möglich.
Rembrandt hat
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