Jesus von Nazaret
hat â dieser Mann ist von den politischen und religiösen Machthabern wie ein Verbrecher aus dem Weg geräumt worden. Und das Leben geht einfach weiter, so als obnichts passiert wäre. In Jerusalem wurde das Passahfest gefeiert, von dem blutigen Geschehen auf Golgota nahm kaum einer Notiz, und bald wird keiner mehr wissen, wer dieser Zimmermann aus Nazaret war. Unendlich fern ist nun wieder eine Welt, wie sie Jesus in seinen Predigten versprochen hat. Eine Welt, die den Sanften und Friedfertigen gehören soll und in der man seine Feinde nicht verfolgt oder tötet, sondern liebt.
Nun hat sich doch wieder gezeigt, dass die Welt anders funktioniert. Menschen machen ihre Feinde mundtot oder bringen sie gleich zur Strecke. Die Regeln, die in der Welt gelten, werden bestimmt von den Interessen der politischen und religiösen Führer. Und wer diese Realitäten nicht wahrhaben will, was ist der anderes als ein blauäugiger Idealist, ein wirklichkeitsfremder Träumer?
Die Emmaus-Jünger sind auf dem besten Wege dazu, hoffnungslose Realisten zu werden oder sogar Zyniker. Und sie haben auch allen Grund zu verzweifeln, wenn sie daran denken, wie sich Jesusâ engste Freunde verhalten haben. Petrus hat Jesus verleumdet und die anderen sind wie Angsthasen davongelaufen. Hat sich in diesen Momenten nicht gezeigt, dass sie im Grunde nicht an das geglaubt haben, was Jesus getan und gesagt hat? Aber noch versinken die Jünger nicht in ihrer Depression. Die Erinnerung an Jesus ist noch stark. Auf dem Weg nach Emmaus reden sie über vieles, was sie mit ihm erlebt haben.
Jesus hat sie nicht fallen gelassen. Er geht mit ihnen. Aber merkwürdigerweise erkennen ihn Kleopas und sein Begleiter nicht, obwohl sie doch monatelang oder sogar jahrelang an seiner Seite waren. Wie kommt das? Der Grund dafür wird in der Lukas-Erzählung genannt: Die Jünger haben nämlich keine Erklärung für das, was in Jerusalem passiert ist. Sie erkennen nicht den Sinn der Ereignisse und schon gar nicht den Sinn seines Todes. Und solange sie diesen Sinn nicht verstehen, erkennen sie Jesus nicht.
Kein Wunder, dass Jesus in dieser Geschichte etwas ungehalten ist. Er hat es nicht leicht mit seinen Jüngern. Schon zu seinen Lebzeiten hat er ihnen immer wieder zu erklären versucht, warum er so handelt und warum er in den Tod gehen muss. Und manchmal war es zum Haareraufen, dass sie ihn einfach nicht verstehen wollten. Auch Kleopas und sein Freund hängen immer noch an falschen Vorstellungen. Für einen »Propheten« halten sie ihn, der Israel erlösen werde. Dabei hat er ihnen tausendmal gesagt, dass er als der »Menschensohn« nicht ein Volk retten will, sondern gekommen ist, um sich der einzelnen Menschen anzunehmen, der AusgestoÃenen, der Kranken und Schwachen.
Was Jesus den Emmaus-Jüngern erzählt, ist nichts Neues. Er hat es schon oft gesagt. Die Jünger brauchen sich nur zu erinnern. Diesen Rat haben auch die Frauen bekommen, die nach dem Lukas-Evangelium als Erstezum leeren Grab kamen. Statt des toten Jesus waren da zwei Engel, die ihnen sagten, dass sie den »Lebenden« nicht bei den »Toten« suchen sollten. »Erinnert euch, was er euch gesagt hat, als er noch in Galiläa war«, forderten die Engel sie auf. (Lk 24, 6)
Auch die Emmaus-Jünger sollen sich daran erinnern, was Jesus gesagt hat, als sie noch gemeinsam in Galiläa von Dorf zu Dorf wanderten und Jesus Kranke heilte und Menschen »ganz« machte. Hat er nicht gesagt, dass das Weizenkorn in die Erde fallen und sterben muss, damit es Frucht bringt? Hat er nicht gesagt, dass nur einer »gut« ist, nämlich Gott? Hat er nicht gesagt, dass derjenige sein Leben verlieren wird, der es ängstlich zu erhalten sucht? Hat er nicht gesagt, dass Menschen wichtiger sind als Gesetze? Hat er nicht gesagt, dass Gott in jedem Menschen wohnt und der ganze Opferkult mit seiner Geschäftemacherei überflüssig ist? Hat er nicht gesagt, dass jeder Mensch für Gott unendlich wertvoll ist und er sich deshalb sein Leben nicht beschweren soll mit unnötigen Sorgen und Pflichten? 108
Wer nach solchen Worten lebt, der macht sich unwillkürlich Feinde. Der zieht den Argwohn und den Hass von Menschen auf sich, die sich ängstlich an ihr Leben klammern, die panisch dem Tod entkommen wollen, die sich bedenkenlos Gesetzen und Autoritäten unterwerfen, die um ihre Karriere und ihren Einfluss
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