Jesus von Nazaret
fürchten und die den Tod von Menschen in Kauf nehmen, wenn es nurihren Zwecken dient. Denn nichts ist bedrohlicher für diejenigen, die in Sachzwängen und Ãngsten befangen sind, als ein Mensch, der wirklich frei ist, weil er aus einem unerschütterlichen Gottvertrauen lebt.
Es ist ein merkwürdiges Paradox, dass sich Menschen einerseits nach nichts so sehr sehnen wie danach, von ihren Ãngsten befreit zu werden, und andererseits den Menschen verfolgen und töten, der ihnen zu einem »richtigen« Leben verhelfen will. Es ist, als fürchteten sie nichts so sehr wie ihre Heilung. Aber wenn Jesus recht hat, dann haben sie unrecht. Dann gäbe es keinen Grund, so weiterzuleben wie bisher, dann müssten sie »umkehren«, also ihr Leben radikal ändern. Jesus hält ihnen den Spiegel vor. An seinem Beispiel wird sichtbar, dass ihr Leben falsch ist. Und das ist ihnen unerträglich. Darum müssen sie ihn töten.
Jesus durfte sich nicht dem entziehen, was an Leiden auf ihn zukam. Er durfte nicht nach Galiläa fliehen und sich dort verstecken. Er durfte sich nicht wehren. Hätte er sich gewehrt, wäre er geflohen, dann wäre er in den Teufelskreis von Angst und Gewalt eingetreten, den er gerade überwinden wollte. Er hätte sich seinen Gegnern gleichgemacht. Jesus ist sich aber bis zum Schluss treu geblieben. Er hat sein Gottvertrauen nicht verloren. Darum war sein Tod ein Sieg. Und wenn wir davon sprechen, dass Jesus »für uns« gestorben ist, dann heiÃt das nicht, dass ein grausamer Gottvater seinen Sohn geopferthat und wir zeitlebens ein schlechtes Gewissen haben müssten. Diese Formel will ausdrücken, dass Jesus ein für alle Mal gezeigt hat, dass es auch anders geht, dass ein anderes Leben möglich ist. Er traut es uns zu, dass wir es ihm nachmachen, dass wir ihm nachfolgen können â auch nach seinem Tod.
Kleopas und sein Freund haben dem Fremden aufmerksam zugehört. Sie sind immer noch »blind«, aber ihre Aufmerksamkeit ist geweckt. Sie sind Suchende in dem Sinne, wie sie der Philosoph und Mathematiker Blaise Pascal beschrieben hat, als Menschen, die Gott nicht »erkannt« haben, aber ihn »von ganzem Herzen suchen«. 109 Und diese Suche kann nur, wie es im Evangelium heiÃt, mit »brennendem Herzen« geschehen, mit vernünftigen Argumenten oder wissenschaftlichen Belehrungen kommt man hier nicht weiter. Die Jünger sind so ergriffen, dass sie den Fremden nicht ziehen lassen wollen. Sie wollen nicht allein sein und Gefahr laufen, wieder in ihre dumpfe Trauer zurückzufallen.
Gemeinsam kehren sie ein und sitzen an einem Tisch. Und nun, als der Fremde das Brot bricht, gehen den beiden Jüngern die Augen auf. Sie erkennen, dass der Fremde Jesus ist, und im gleichen Augenblick verschwindet er. Seine körperliche Anwesenheit ist auch nicht mehr nötig. Denn die Jünger haben nun verstanden, was ihnen Jesus sagen wollte. Und dieses Verstehen oder dieser Glaubesind so übermächtig, so ergreifend, so mitreiÃend, so durchdringend, dass die Jünger wie verwandelt sind und das Gefühl haben, als wäre Jesus da und würde mit ihnen reden.
Die beiden Emmaus-Jünger kehren zurück nach Jerusalem und auch diese Stadt hat sich verwandelt. Der Ort, an dem sie ihre Hoffnungen begraben haben, ist zu einem Ort der Zuversicht, der Zukunft geworden, zu einem Ort nicht der Toten, sondern der Lebenden. Auch die anderen Jünger sind nicht wiederzuerkennen. Sie behaupten, dass der Herr auferstanden sei und Simon Petrus erschienen sei. Vielen anderen wird es noch ähnlich ergehen. Und am Schawuot-Fest, dem späteren Pfingsten, verlassen die vorher so verängstigten und kleinmütigen Jünger die Häuser, in denen sie sich versteckt haben. Sie treten ins Freie, auf StraÃen und Plätze, und reden wie entflammt zu anderen Menschen, von denen sie wundersamerweise auch verstanden werden, obwohl diese aus fernen Ländern kommen und andere Sprachen sprechen. (Apg 2, 1-13) Wo Jesus lebt, wo sein Geist weht, da scheint es keine Barrieren mehr zu geben, da entsteht Gemeinschaft wie von selbst.
Viele Jahre später haben sich die Evangelisten daran gemacht, die Geschichte des Jesus von Nazaret aufzuschreiben. Sie haben Leute befragt, Dokumente sichergestellt und Erzählungen gesammelt, die noch von Jesus imUmlauf waren. Als sie auch von den Ereignissen nach dem Tod Jesu berichten wollten,
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