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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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Vater ist, ist er nicht fort, sondern in unserer Nähe. Nun ist er nicht mehr an einer einzelnen Stelle der Welt wie vor der „Himmelfahrt“, nun ist er für alle – die ganze Geschichte hindurch – und allerorten mit seiner raumüberschreitenden Macht gegenwärtig und rufbar.
     
    Es gibt eine wunderbare kleine Geschichte im Evangelium (Mk 6,45   –   52 par.), wo Jesus während seines irdischen Lebens diese Art von Nähe vorwegnimmt und sie uns so leichter verständlich werden lässt.
    Nach der Brotvermehrung veranlasst der Herr die Jünger, ins Boot zu steigen und zum anderen Ufer nach Betsaida vorauszufahren, während er selbst das Volk entlässt. Er zieht sich dann „auf den Berg“ zurück, um zu beten.So sind die Jünger allein im Boot. Es ist Gegenwind, der See ist aufgewühlt. Sie sind bedroht von der Macht der Wogen und des Sturms. Der Herr scheint weit weg zu sein im Gebet auf seinem Berg. Aber weil er beim Vater ist, sieht er sie. Und weil er sie sieht, kommt er über den See zu ihnen, setzt sich mit ihnen ins Boot und ermöglicht ihnen die Fahrt zum Ziel.
    Dies ist ein Bild für die Zeit der Kirche – gerade auch uns zugedacht. Der Herr ist „auf dem Berg“ des Vaters. Deshalb sieht er uns. Darum kann er jederzeit in das Boot unseres Lebens einsteigen. Deswegen können wir ihn immer rufen und immer gewiss sein, dass er uns sieht und hört. Das Boot der Kirche fährt auch heute im Gegenwind der Geschichte durch den aufgewühlten Ozean der Zeit. Oft sieht es aus, als ob es untergehen müsse. Aber der Herr ist da und kommt zur rechten Zeit. „Ich gehe und ich komme zu euch“ – das ist das Vertrauen der Christenheit, der Grund unserer Freude.
     
    Von einer ganz anderen Seite her wird Ähnliches sichtbar in der theologisch und anthropologisch außerordentlich dichten Geschichte von der Ersterscheinung des Auferstandenen an Maria Magdalena. Nur einen Zug daraus möchte ich an dieser Stelle herausgreifen.
    Maria hat sich nach der Anrede durch die zwei Engel in weißen Gewändern umgewandt und Jesus gesehen, ihn aber nicht erkannt. Nun ruft er sie beim Namen: „Maria!“ Noch einmal muss sie sich wenden, und nun erkennt sie freudig den Auferstandenen, den sie als
Rabbuni,
als ihren Meister anspricht. Sie will ihn anrühren, ihn festhalten, aber der Herr sagt zu ihr: „Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen“ (Joh20,17). Das wundert uns. Wir möchten sagen: Jetzt, wo er vor ihr steht, kann sie ihn anrühren, ihn festhalten. Wenn er zum Vater aufgestiegen sein wird, ist es nicht mehr möglich. Aber der Herr sagt das Umgekehrte: Jetzt kann sie ihn nicht berühren, nicht festhalten. Die frühere Beziehung zum irdischen Jesus ist so nicht mehr möglich.
    Es geht hier um das Gleiche, was Paulus in 2   Kor 5,16f zum Ausdruck bringt: „Auch wenn wir früher Christus nach menschlichen Maßstäben gekannt haben, jetzt kennen wir ihn nicht mehr so. Wenn einer in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung.“ Die alte Weise menschlichen Miteinanderseins und Begegnens ist vorbei. Nun kann man Jesus nur noch berühren „beim Vater“. Man kann ihn nur berühren, indem man aufsteigt. Vom Vater her, in der Gemeinschaft mit dem Vater, ist er uns auf neue Weise zugänglich und nahe.
    Diese neue Zugänglichkeit setzt auch eine Neuheit unsererseits voraus: Durch die Taufe ist unser Leben schon mit Christus in Gott verborgen; wir sind in unserer eigentlichen Existenz schon „oben“, bei ihm, zur Rechten des Vaters (vgl. Kol 3,1ff). Wenn wir in die Eigentlichkeit unserer christlichen Existenz vordringen, dann rühren wir an den Auferstandenen: Dort sind wir ganz wir selbst. Berühren Christi und Aufsteigen gehören zusammen. Und denken wir daran, dass nach Johannes der Ort der „Erhöhung“ Christi sein Kreuz ist und dass unsere immer wieder nötige „Himmelfahrt“, unser Aufsteigen, um ihn zu berühren, Mitgehen mit dem Gekreuzigten sein muss.
    Der Christus beim Vater ist nicht fern von uns, höchstens sind wir fern von ihm; aber der Weg zueinander steht offen. Worum es hier geht, ist nicht der Weg einer Raumfahrt kosmisch-geographischer Art, sondern die„Raumfahrt“ des Herzens, von der Dimension der Selbstverschließung zu der neuen Dimension der weltumspannenden göttlichen Liebe.
     
    Kehren wir noch einmal zum 1.   Kapitel der Apostelgeschichte zurück. Inhalt der christlichen Existenz, hatten wir gesagt, ist nicht Zukunftsberechnung, sondern einerseits die

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