Jesus von Nazareth - Band II
Gabe des Heiligen Geistes und andererseits die weltweite Zeugenschaft der Jünger für Jesus, den Gekreuzigten und Auferstandenen (Apg 1,6 – 8). Und das Entzogenwerden Jesu durch die Wolke bedeutet nicht Bewegung zu einem anderen kosmischen Ort, sondern die Hineinnahme in das Sein Gottes selbst und so die Teilhabe an seiner Gegenwartsmacht in der Welt.
Nun fährt der Text fort. Wie zuvor im Grab (Lk 24,4), so erscheinen auch jetzt zwei weißgewandete Männer und richten eine Botschaft aus: „Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor? Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen“ (Apg 1,11). Damit wird der Glaube an die Wiederkunft Jesu bestärkt, zugleich aber auch noch einmal betont, dass es nicht Aufgabe der Jünger ist, in den Himmel zu schauen oder Zeiten und Fristen zu erfahren, die im Geheimnis Gottes verborgen sind. Ihr Auftrag ist jetzt, das Zeugnis von Christus bis an die Enden der Erde zu tragen.
Der Glaube an die Wiederkunft Christi ist die zweite Säule des christlichen Bekenntnisses. Er, der Fleisch angenommen hat und nun immerfort Mensch bleibt, der für immer in Gott den Raum des Menschseins eröffnet hat, ruft die ganze Welt ins Offene Gottes hinein, damit amEnde Gott alles in allem werde und der Sohn die ganze in ihm gesammelte Welt dem Vater übergeben kann (vgl. 1 Kor 15,20 – 28). Darin ist die Hoffnungsgewissheit eingeschlossen, dass Gott alle Tränen abtrocknen wird, dass nichts Sinnloses stehenbleibt, dass alles Unrecht aufgearbeitet und das Recht hergestellt wird. Der Sieg der Liebe wird das letzte Wort der Weltgeschichte sein.
Von den Christen wird für die „Zwischenzeit“ Wachheit als Grundhaltung verlangt. Diese Wachheit bedeutet zum einen, dass der Mensch sich nicht in den Augenblick einschließt und sich den greifbaren Dingen überlässt, sondern den Blick über das Momentane und seine Dringlichkeit hinaushebt. Den Blick freihalten zu Gott hin, um von ihm her das Maß des rechten Tuns und die Fähigkeit dazu zu empfangen – darum geht es.
Wachheit bedeutet zuallererst Offenheit für das Gute, für die Wahrheit, für Gott, mitten in einer oft unerklärlichen Welt und mitten in der Macht des Bösen. Sie bedeutet, dass der Mensch mit aller Kraft und mit großer Nüchternheit das Rechte zu tun versucht, dass er nicht nach seinen eigenen Wünschen lebt, sondern nach der Wegweisung des Glaubens. Dies alles ist dargestellt in den eschatologischen Gleichnissen Jesu, besonders im Gleichnis vom wachsamen Knecht (Lk 12,42 – 48) und auf andere Weise in der Parabel von den törichten und den klugen Jungfrauen (Mt 25,1 – 13).
Aber wie verhält es sich nun mit der Erwartung des wiederkommenden Herrn in der christlichen Existenz? Erwarten wir ihn, oder erwarten wir ihn lieber nicht? Schon Cyprian von Karthago († 258) musste seine Leser ermahnen, doch nicht aus Furcht vor den großen Katastrophenoder aus Furcht vor dem Tod das Gebet um die Wiederkunft Christi zu unterlassen. Sollte die verfallende Welt uns denn lieber sein als der Herr, auf den wir doch warten?
Die Apokalypse schließt mit der Zusage der Wiederkunft des Herrn und mit der Bitte um sie: „Er, der dies bezeugt, spricht: Ja, ich komme bald. Amen. Komm, Herr Jesus!“ (22,20). Es ist die Bitte des Liebenden, der in der belagerten Stadt von allen Bedrohungen und Schrecknissen der Zerstörung bedrängt ist und nur warten kann, dass der Geliebte kommt, der die Macht hat, die Belagerung aufzubrechen und Heil zu bringen. Er ist der hoffende Schrei nach der Nähe Jesu in einer Not, in der nur er noch helfen kann.
Paulus stellt an den Schluss des Ersten Korinther-Briefs dasselbe Gebet in aramäischer Fassung, das freilich unterschiedlich getrennt und daher auch unterschiedlich verstanden werden kann:
Marana tha
(„Herr, komm!“) oder
Maran atha
(„Der Herr ist gekommen.“). In dieser Zweiheit der Lesarten ist das Besondere der christlichen Erwartung von Jesu Kommen deutlich sichtbar. Sie ist der Ruf „Komm!“ und zugleich die dankbare Gewissheit „Er ist gekommen.“
Aus der
Zwölf-Apostel-Lehre
(um 100) wissen wir, dass dieser Ruf zu den liturgischen Gebeten der Abendmahlsfeier der frühesten Christenheit gehörte, und hier ist auch die Einheit der beiden Lesarten konkret gegeben. Die Christen rufen nach dem endgültigen Kommen Jesu, und sie erleben zugleich mit
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