Jesus von Nazareth - Band II
Freude und Dank, dass er dieses sein Kommen jetzt schon vorwegnimmt und jetzt schon mitten unter uns hereintritt.
In der christlichen Wiederkunftsbitte ist immer auch Gegenwartserfahrung mitenthalten. Sie ist nie bloß futurisch.Es gilt eben, was der Auferstandene sagt: „Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20). Er ist
jetzt
bei uns, besonders dicht in der eucharistischen Gegenwart. Aber umgekehrt trägt auch die christliche Gegenwartserfahrung die Spannung auf die Zukunft, auf die endgültig erfüllte Gegenwart in sich: Die Gegenwart ist nicht vollständig. Sie drängt über sich hinaus. Sie setzt uns in Bewegung zum Endgültigen.
Es scheint mir sinnvoll, diese innere Spannung der christlichen Wiederkunftserwartung, die das christliche Leben und Beten prägen muss, noch an zwei unterschiedlichen Ausdrucksformen der Theologie zu verdeutlichen. Das römische Stundenbuch legt seinen Betern am Ersten Adventssonntag eine Katechese von Cyrill von Jerusalem vor (
Kat.
XV,1 – 3:
PG
33,870 – 874), die mit den Worten beginnt: „Christi Ankunft verkündigen wir, nicht eine nur, sondern noch eine weitere … Wie zumeist, so ist beim Herrn Jesus Christus alles zweifach: zweifach die Geburt, die eine aus Gott vor aller Zeit, die andere aus der Jungfrau in der Fülle der Zeit; zweifach die Herabkunft – die eine verborgen, die andere, noch zukünftige, sichtbar.“ Diese Rede von der zweifachen Ankunft Christi hat die Christenheit geprägt und gehört zum Kern der adventlichen Verkündigung. Sie ist richtig, aber ungenügend.
Wenige Tage später, am Mittwoch der Ersten Adventswoche, bietet das Stundenbuch eine Auslegung aus den Adventspredigten des heiligen Bernhard von Clairvaux, in der eine ergänzende Sicht zu Worte kommt. Da heißt es: „Eine dreifache Ankunft des Herrn kennen wir … Die dritte ist in der Mitte zwischen den anderen
(adventus medius)
… In der ersten Ankunft kam er im Fleisch undin der Schwachheit. In dieser mittleren kommt er in Geist und Kraft, in der letzten in Herrlichkeit und Majestät“ (
In Adventu Domini,
serm. III,4. V,1:
PL
183, 45A. 50C–D). Bernhard bezieht sich für diese seine These auf Joh 14,23: „Wenn jemand mich liebt und mein Wort hält, dann wird mein Vater ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.“
Ausdrücklich ist von einem „Kommen“ von Vater und Sohn die Rede: Es ist die präsentische Eschatologie, die Johannes entwickelt hat. Sie gibt die Erwartung der endgültigen weltwendenden Ankunft nicht auf, zeigt aber, dass die Zwischenzeit nicht leer ist, dass es in ihr eben den
Adventus medius
gibt, die mittlere Ankunft, von der Bernhard spricht. Diese antizipative Gegenwart gehört durchaus zur christlichen Eschatologie, zur christlichen Existenz.
Auch wenn das Wort
Adventus medius
vor Bernhard unbekannt war, so ist die Sache doch in verschiedenen Formen in der ganzen christlichen Tradition von Anfang an gegenwärtig. Erinnern wir uns zum Beispiel daran, dass der heilige Augustinus in den Wolken, auf denen der Weltenrichter kommt, das Wort der Verkündigung sieht: Die Worte der Botschaft, von den Zeugen ausgerichtet, sind die Wolke, die Christus in die Welt trägt – jetzt schon. Und so wird die Welt für die endgültige Ankunft bereitet. Die Weisen dieser „mittleren Ankunft“ sind vielfältig: Der Herr kommt durch sein Wort; er kommt in den Sakramenten, besonders in der heiligsten Eucharistie; er kommt durch Worte oder Ereignisse in mein Leben hinein.
Es gibt aber auch epochale Weisen dieses Kommens. Das Wirken der beiden großen Gestalten Franziskus und Dominikusim 12. aufs 13. Jahrhundert war eine Weise, wie Christus neu in die Geschichte hereintrat, neu sein Wort und seine Liebe zur Geltung brachte; eine Weise, wie er seine Kirche erneuerte und die Geschichte auf sich zu bewegte. Ähnliches können wir von den Heiligengestalten des 16. Jahrhunderts sagen: Teresa von Avila, Johannes vom Kreuz, Ignatius von Loyola, Franz Xaver bringen mit sich neue Einbrüche des Herrn in die verworrene und von ihm wegtreibende Geschichte ihres Jahrhunderts. Sein Geheimnis, seine Gestalt erscheint neu – und vor allem: Seine Menschen verwandelnde und Geschichte formende Kraft wird auf neue Art gegenwärtig.
Können wir also um das Kommen Jesu beten? Können wir aufrichtig sagen: „
Marana tha!
Komm, Herr Jesus!“? Ja, wir können es. Nicht nur das: Wir müssen es! Wir bitten um Antizipationen
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