Jesus von Nazareth - Band II
bezeugen können, dass Jesus nicht im Grab geblieben ist – dass er lebt. Ihre Zeugenschaft ist wesentlich Sendung: Sie müssen der Welt verkünden, dass Jesus der Lebende ist – das Leben selbst.
Ihnen ist aufgetragen, zunächst noch einmal zu versuchen, Israel um den auferstandenen Jesus zu sammeln. Auch für Paulus beginnt die Botschaft immer zuerst mit dem Zeugnis vor den Juden, denen das Heil zuerst zugedacht ist. Aber die letzte Bestimmung der Gesandten Jesu ist universal: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf der Erde. Darum geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern“ (Mt 28,18f). „Ihr werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde“ (Apg 1,8). „Brich auf, denn ich will dich in die Ferne zu den Heiden senden“, sagt der Auferstandene schließlich zu Paulus (Apg 22,21).
Zur Botschaft der Zeugen gehört auch die Ankündigung, dass Jesus wiederkommen wird, die Lebenden und die Toten zu richten und endgültig Gottes Reich in der Welt aufzurichten. Eine große Strömung der neuzeitlichen Theologie hat diese Verkündigung sogar zum Hauptinhalt, wenn nicht zum einzigen Kern der Botschaft erklärt. Sobehauptet man, schon Jesus selbst habe ausschließlich in eschatologischen Kategorien gedacht. Die „Naherwartung“ des Reiches sei das eigentlich Spezifische seiner Botschaft gewesen, und die früheste apostolische Verkündigung habe nichts anderes gesagt.
Wenn dies der Fall gewesen wäre, so fragt man sich, wie der christliche Glaube hätte Bestand behalten können, als sich die Naherwartung nicht erfüllte. In der Tat steht eine solche Theorie gegen die Texte wie gegen die Wirklichkeit des werdenden Christentums, das den Glauben als gegenwärtige Kraft und zugleich als Hoffnung erfahren hat.
Die Jünger haben gewiss von der Wiederkunft Jesu gesprochen, aber vor allem haben sie bezeugt, dass er der jetzt Lebende ist, das Leben selbst, von dem her auch wir Lebende werden (Joh 14,19). Aber wie geht das? Wo finden wir ihn? Ist er, der Auferstandene, der „zur Rechten des Vaters erhöht ist“ (Apg 2,33), damit nicht ganz abwesend? Oder ist er irgendwie zugänglich? Können wir „zur Rechten des Vaters“ vordringen? Gibt es in der Abwesenheit doch zugleich eine wirkliche Gegenwart? Kommt er nicht erst an einem unbekannten letzten Tag zu uns? Kann er auch heute kommen?
Diese Fragen prägen das Johannes-Evangelium, und auch die Paulus-Briefe geben Antwort darauf. Das Wesentliche dieser Antwort ist aber auch in den Berichten von der „Himmelfahrt“ angedeutet, mit denen das Lukas-Evangelium schließt und die Apostelgeschichte beginnt.
Wenden wir uns also dem Schluss des Lukas-Evangeliums zu. Da wird erzählt, wie Jesus den in Jerusalem versammelten Aposteln erscheint, zu denen noch die zweiEmmaus-Jünger gestoßen sind. Er isst mit ihnen und erteilt Weisungen. Die letzten Sätze des Evangeliums lauten: „Dann führte er sie hinaus in die Nähe von Bethanien. Dort erhob er seine Hände und segnete sie. Und während er sie segnete, verließ er sie und wurde zum Himmel emporgehoben; sie aber fielen vor ihm nieder. Dann kehrten sie in großer Freude nach Jerusalem zurück. Und sie waren immer im Tempel und priesen Gott“ (24,50 – 53).
Dieser Abschluss verwundert uns. Lukas sagt, dass die Jünger voll Freude waren, als der Herr endgültig von ihnen gegangen war. Wir würden das Gegenteil erwarten. Wir würden erwarten, dass sie ratlos und traurig zurückblieben. Die Welt hatte sich nicht geändert, Jesus war endgültig von ihnen gegangen. Sie hatten einen Auftrag erhalten, der unausführbar schien und ihre Kräfte überstieg. Wie sollten sie vor die Menschen in Jerusalem, in Israel, in der ganzen Welt hintreten und sagen: „Dieser Jesus, der gescheitert schien, ist doch der Retter von uns allen“? Jeder Abschied hinterlässt Trauer. Auch wenn Jesus als Lebender von ihnen gegangen war: Wie sollte sein endgültiges Scheiden von ihnen sie nicht traurig machen? Und doch – da steht, sie kehrten in großer Freude nach Jerusalem zurück und priesen Gott. Wie können wir das verstehen?
Jedenfalls folgt daraus, dass die Jünger sich nicht verlassen fühlen. Dass sie Jesus nicht als weit von ihnen in einen unzugänglichen Himmel entschwunden ansehen. Sie sind offenbar einer neuen Gegenwart Jesu gewiss. Sie sind sich gewiss (wie es der Auferstandene nach Matthäus denn auch gesagt hat), dass er gerade jetzt
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