Jesus von Nazareth - Band II
Einheit. Die „faktische Zersplitterung“ der Kirche könne die vom Herrn herkommende Einheit nicht hindern, so lehrt uns Bultmann.
Bedarf es also der Ökumene gar nicht, weil die Einheit in der Verkündigung geschaffen und durch die Spaltungen der Geschichte nicht gehindert wird? Vielleicht ist es auch bezeichnend, dass Bultmann das Wort „Kirche“ verwendet, wo er von Zersplitterung redet, dagegen das Wort „Gemeinde“ gebraucht, wo er von der Einheit handelt. Die Einheit der Verkündigung sei nicht kontrollierbar, so sagt er uns. Daher sei die Einheit der Gemeinde unsichtbar, wie der Glaube unsichtbar ist. Einheit sei unsichtbar, weil „kein weltliches Phänomen“.
Ist dies nun die rechte Auslegung der Bitte Jesu? Gewiss ist es wahr, dass die Einheit der Jünger – der künftigen Kirche –, um die Jesus betet, „kein weltliches Phänomen“ ist. Das sagt der Herr ganz deutlich: Die Einheit kommt nicht aus der Welt; aus den eigenen Kräften der Welt ist sie nicht möglich. Die eigenen Kräfte der Welt führen zur Spaltung: Wir sehen es. Soweit die Welt in der Kirche, in der Christenheit wirksam ist, kommt es zu Spaltungen. Die Einheit kann nur vom Vater durch den Sohn kommen. Sie hat mit der „Herrlichkeit“ zu tun, die der Sohn gibt: mit seiner durch den Heiligen Geist geschenkten Gegenwart, die Frucht des Kreuzes, seiner Verwandlung in Tod und Auferstehung ist.
Aber die Kraft Gottes wirkt mitten in die Welt hinein, in der die Jünger leben. Sie muss von der Art sein, dass die Welt sie „erkennt“ und dadurch zum Glauben kommt. Das nicht von der Welt Kommende kann und muss durchaus etwas in der Welt und für die Welt Wirksames undauch für sie Wahrnehmbares sein. Die Zielsetzung der Einheitsbitte Jesu ist gerade, dass durch die Einheit der Jünger für die Menschen die Wahrheit seiner Sendung sichtbar wird. Die Einheit muss erscheinen, und zwar als etwas, das es in der Welt sonst nicht gibt; als etwas, das aus den eigenen Kräften der Menschheit nicht erklärbar ist und daher das Wirken einer anderen Kraft sichtbar macht. Durch die menschlich nicht erklärbare Einheit der Jünger Jesu alle Zeiten hindurch wird Jesus selbst legitimiert. Es wird sichtbar, dass er wirklich der „Sohn“ ist. So wird Gott erkennbar als Schöpfer einer Einheit, die die Zerfallstendenz der Welt überwindet.
Darum hat der Herr gebetet: um eine Einheit, die nur von Gott her und durch Christus möglich ist, die aber so konkret erscheint, dass Gottes gegenwärtig wirkende Kraft sichtbar wird. Deshalb bleibt das Ringen um eine sichtbare Einheit der Jünger Jesu Christi ein dringender Auftrag für die Christen aller Zeiten und aller Orte. Die unsichtbare Einheit der „Gemeinde“ genügt nicht.
Können wir noch mehr erkennen über Wesen und Inhalt der Einheit, um die Jesus betet? Ein erstes wesentliches Element dieser Einheit ist in unseren bisherigen Betrachtungen schon sichtbar geworden: Sie beruht auf dem Glauben an Gott und an den, den er gesandt hat: Jesus Christus. Die Einheit der künftigen Kirche beruht also auf jenem Glauben, den Petrus nach dem Abfall der Jünger namens der Zwölf in der Synagoge von Kafarnaum bekannt hatte: „Wir haben geglaubt und erkannt, dass du der Heilige Gottes bist“ (Joh 6,69).
Dieses Bekenntnis steht in großer inhaltlicher Nähe zum Hohepriesterlichen Gebet. Jesus begegnet uns hierals derjenige, den der Vater geheiligt hat, der sich für die Jünger heiligt, der die Jünger selbst in der Wahrheit heiligt. Der Glaube ist mehr als ein Wort, als eine Idee: Er bedeutet das Eintreten in die Gemeinschaft mit Jesus Christus und durch ihn mit dem Vater. Er ist der eigentliche Grund der Jüngergemeinschaft, die Grundlage für die Einheit der Kirche.
Dieser Glaube ist in seinem Kern „unsichtbar“. Aber weil die Jünger sich an den einen Christus binden, wird der Glaube „Fleisch“ und fügt die Einzelnen zu einem wirklichen „Leib“ zusammen. Die Inkarnation des Logos setzt sich fort bis hin zur vollendeten Gestalt Christi (vgl. Eph 4,13).
In den Glauben an Jesus Christus als den vom Vater Gesandten ist als zweites Element die Struktur der Sendung eingeschlossen. Wir haben gesehen, dass Heiligkeit, das heißt Zugehörigkeit zum lebendigen Gott, Sendung bedeutet.
So ist Jesus als der Heilige Gottes im ganzen Johannes-Evangelium – und gerade auch im 17. Kapitel – der Gesandte Gottes. Sein ganzes Wesen ist „Gesandtsein“. Was das bedeutet, wird in einem Wort
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