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Jesus von Nazareth - Band II

Jesus von Nazareth - Band II

Titel: Jesus von Nazareth - Band II Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Benedikt XVI
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Menschen als seine Geschöpfe, die er liebt bis zur Weggabe seiner selbst im Sohn. Zum anderen spricht das Wort von der Menschenwelt, wie sie geschichtlich geworden ist: In ihr ist Korruption, Lüge, Gewalt sozusagen „das Natürliche“ geworden. Blaise Pascal spricht von einer zweiten Natur, die sich im Lauf der Geschichte über die erste gelegt habe. Moderne Philosophen haben in vielfacher Form diese geschichtliche Situation des Menschen dargestellt, etwa Martin Heidegger, wenn er von der Verfallenheit an „das Man“, vom Existieren in der „Uneigentlichkeit“ spricht. Auf ganz andere Weise erscheint dieselbe Problematik, wenn Karl Marx die Entfremdung des Menschen schildert.
    Die Philosophie beschreibt damit im Grunde genau das, was der Glaube „Erbsünde“ nennt. Diese Art von „Welt“ muss verschwinden; sie muss umgewandelt werden in die Welt Gottes. Gerade dies ist die Sendung Jesu, in die die Jünger hineingenommen werden: die „Welt“ aus der Entfremdung des Menschen von Gott und von sich selbst herauszuführen, damit sie wieder Welt Gottes werde und damit der Mensch wieder ganz er selbst werde im Einswerden mit Gott. Diese Umwandlung kostet freilich dasKreuz, und sie kostet auch die Martyriumsbereitschaft der Zeugen Christi.
     
    Blicken wir zum Schluss auf das Ganze der Bitte um die Einheit zurück, so dürfen wir sagen, dass in ihr sich Stiftung der Kirche vollzieht, auch wenn das Wort Kirche nicht fällt. Denn was ist Kirche anderes als die Gemeinschaft der Jünger, die durch den Glauben an Jesus Christus als den Gesandten des Vaters ihre Einheit empfängt und hineingehalten ist in die Sendung Jesu, die Welt zur Erkenntnis Gottes zu führen und sie so zu retten?
    Die Kirche entspringt dem Gebet Jesu. Dieses Gebet aber ist nicht nur Wort, es ist der Akt, in dem er sich selbst „heiligt“, das heißt sich „opfert“ für das Leben der Welt. Wir können auch umgekehrt sagen: Im Gebet wird das grausame Geschehen des Kreuzes zu „Wort“, zum Versöhnungsfest zwischen Gott und Welt. Daraus entspringt die Kirche als die Gemeinschaft derer, die auf das Wort der Apostel hin an Christus glauben (17,20).

5.   KAPITEL
DAS LETZTE
ABENDMAHL
     

N och mehr als die eschatologische Rede Jesu, die wir im 2.   Kapitel dieses Buches behandelt haben, sind die Berichte über Jesu Letztes Mahl und die Einsetzung der Eucharistie überwuchert von einem Dickicht einander widersprechender Hypothesen, das den Zugang zum wirklichen Geschehen geradezu aussichtslos zu versperren scheint. Bei einem Text, der das eigentliche Zentrum des Christentums betrifft und in der Tat schwierige historische Fragen aufwirft, ist dies nicht verwunderlich.
    Ich versuche, den gleichen Weg zu gehen wie im Fall der eschatologischen Rede. In die vielen, durchaus berechtigten Detailfragen um jede Einzelheit von Wort und Geschichte einzutreten, ist nicht Aufgabe dieses Buches, das die Gestalt Jesu zu erkennen versucht und die Einzelprobleme den Fachgelehrten überlässt. Freilich – von der Frage der wirklichen Historizität der wesentlichen Ereignisse können wir uns nicht dispensieren.
    Die neutestamentliche Botschaft ist nicht nur Idee; für sie ist gerade das Geschehensein in der realen Geschichte dieser Welt wesentlich: Der biblische Glaube erzählt nicht Geschichten als Symbole für übergeschichtliche Wahrheiten, sondern er gründet auf Geschichte, die sich auf dem Boden dieser Erde zugetragen hat (vgl. Teil I, S.   14). Wenn Jesus seinen Jüngern
nicht
Brot und Wein als seinen Leib und als sein Blut gereicht hat, dann ist die Eucharistiefeier der Kirche leer – eine fromme Fiktion und nicht Realität, die Gemeinschaft mit Gott und der Menschen untereinander gründet.
    Dabei entsteht freilich noch einmal die Frage nach der möglichen und angemessenen Art historischer Vergewisserung. Wir müssen uns klar darüber Rechenschaft ablegen, dass historische Forschung immer nur zu hoherWahrscheinlichkeit, aber nie zu einer letzten und absoluten Gewissheit über alle Einzelheiten führen kann. Wenn die Glaubensgewissheit allein auf historisch-wissenschaftlicher Vergewisserung beruhen würde, dann würde sie immer revidierbar bleiben.
    Ich nehme ein Beispiel aus der jüngeren Geschichte der exegetischen Forschung. Der große deutsche Exeget Joachim Jeremias hat in der zunehmenden Verwirrung der exegetischen Hypothesen mit äußerster historischer und philologischer Gelehrsamkeit und mit der größten methodischen Sorgfalt die

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