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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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… Nimm, was dein ist, und geh! Ich will aber diesem Letzten dasselbe geben wie dir.«
    Jesus hielt sich für den Erneuerer, und genau den erkannten seine Anhänger in ihm. Er präsentierte sich als Überbringer der absoluten Wahrheit. Beweis dieser Wahrheit war er, Jesus, selbst. Weiterer Beweise bedurfte es nicht. Wer so auftritt, polarisiert. Die einen fühlten sich zu ihm hingezogen, die anderen sich von seiner Radikalität abgestoßen. Die einen setzten all ihre Erwartungen in ihn, die anderen unterstellten ihm Manie, Magie und Blasphemie. Vor allem den konservativen jüdischen Pharisäern, die eine genau vorgegebene Alltagsgestaltung nach dem mosaischen Gesetz kultivierten, war er trotz gewisser Nähe ein Dorn im Auge. Da erhob sich doch ein Jude über das heilige jüdische Gesetz! Da vergab einer den Schuldigen, was doch nur Gott tun konnte! Da erkor sich einer zum König der Wahrheit!
    Was der Mann aus Galiläa für sich in Anspruch nahm, muss in den Ohren der jüdischen Autoritäten in Judäa, dem Land der Priester und Schriftgelehrten, so selbstherrlich wie ungeheuerlich geklungen haben. Ein Affront. Eine Provokation.
    Kurz vor Jesu Kreuzigung, womöglich im April des Jahres 30, wird deshalb dem Johannesevangelium zufolge der amtierende Hohepriester Kaiphas in der Ratsversammlung sagen: »Es ist besser für euch, ein Mensch sterbe für das Volk, als dass das ganze Volk verderbe« (Joh 11,50). In kluger Voraussicht also lieferten die Tempelaristokraten ihren Mitjuden Jesus an die Römer aus, weil beide, Hoher Rat wie Römer, größte Furcht vor einem Massenaufruhr hatten. Die Römer, da sie hochempfindlich gegen jede Form von Unordnung waren; die jüdischen Autoritäten, weil sie genau wussten, dass die Angst der Römer vor Unruhen eine ständige Gefahr für das gesamte jüdische Volk bedeutete. Propheten und Aufrührer wurden gewöhnlich sofort ans Kreuz genagelt.

    Grablegung Christi
    (Gemälde von Rogier van der Weyden, um 1450)
    AKG
    Bis zum fatalen Spruch des Kaiphas gegen ihn hatte Jesus also nur zwei kurze Jahre, in denen sich sein Wirken und seine Bewegung entfalten konnten. Da predigte er vor allem am Ufer des Sees Genezareth. Wanderte durch die Felder, überquerte den See, erklomm die Hügel, zog sich in Grotten zurück. Fuhr mit dem Holzboot von Ufer zu Ufer, stillte den Sturm auf dem See Genezareth, trieb Dämonen aus und heilte ohne Medizin. Ob man dem Menschensohn Jesus bereits während seines Lebens den Titel »Messias« (griechisch »christos«) beigestellt hat, ist umstritten; er selbst hat sich weder als Messias noch als Gottessohn bezeichnet. Die vier Evangelisten, die Jesu Wirken ähnlich beschrieben, aber unterschiedlich gedeutet haben – Matthäus stark theologisch, Markus nüchtern historisch, Lukas betont ethisch, Johannes streng apokalyptisch –, berichten von seinen Taten an den Armen und Kranken, die man als Wunder bezeichnen wird: In Kapernaum heilte er den Gelähmten und die Schwiegermutter des Simon, erweckte das tote Mädchen zum Leben und gab einem Stummen die Stimme zurück. In Tabgha soll er fünf Brote, zwei Fische vermehrt und damit fünftausend Mann gespeist haben. In Betsaida machte er Blinde sehend, und in Gadara trieb er zwei Besessenen den Satan aus, ließ denselben in eine Horde Schweine fahren und die Tiere im Wasser ersaufen.
    All diese Orte sind im Umkreis von dreißig Kilometern zu finden, manche sogar nur ein paar hundert Meter voneinander entfernt – heute meist seltsam verkommene Ruinen oder verwaiste Gegenden um den See Genezareth, dem allmählich das Wasser ausgeht. Ebendort, am westlichen und nördlichen Saum des Sees, in den Dörfern Magdala, Kapernaum, Betsaida und Chorazin, hatte Jesus keine direkten Gegner, dort konnte er ungestört die Umkehr predigen, die Gottesherrschaft verkünden und seine Gefolgschaft rekrutieren. Die Pharisäer agierten vornehmlich in Judäa, die aristokratischen Priesterfamilien der Sadduzäer lebten um den Jerusalemer Tempel herum, und die puristischen Essener studierten in der Wüste des Südens.
    Mindestens die ersten vier der zwölf berufenen Jünger waren, wie man heute sagen würde, Kleinunternehmer. Die Brüder Simon und Andreas verdienten ihr Brot als Fischer, die Brüder Jakobus und Johannes entstammten einer Unternehmerfamilie, deren Oberhaupt Zebedäus etliche Arbeiter beschäftigte. »Die Jesusbewegung hat nicht die Ärmsten der Armen gesammelt, um eine soziale Revolution anzuzetteln«, meint Jens Schröter. Man

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