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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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sterben. Das Ende der Welt, das die ersten Anhänger Jesu noch für ganz nahe halten, bleibt aus. Eine Generation nach dem Tod des Meisters wird die Botschaft zunehmend vielstimmig überliefert. Hier erzählt man dies über Jesus, anderswo das. Legenden, Gerüchte, Geschichten kursieren. Was gilt? Fromme Männer schreiben auf, was sie für wichtig und richtig halten. Sie sind keine Historiker, sie sind Gläubige. Sie wollen nicht rekonstruieren, wie es wirklich war, sie haben eine Botschaft. Sie formen und glätten die Geschichten; für sie ist das keine Fälschung, sondern Dienst an der Wahrheit. Jedes Evangelium steht nun auf seine Weise für eine Richtung der neuen Religion.
    Markus nennt die Überlieferung einen dieser Männer. Er gilt als der Erste, der Jesu Leben, seinen Tod und seine Auferstehung in Form einer zusammenhängenden Erzählung aufgeschrieben hat. Das muss um das Jahr 70 gewesen sein. Denn Jesus weissagt nach Markus, dass der Tempel zerstört werden wird. Vielleicht ist er es zum Zeitpunkt der Niederschrift schon, vielleicht ist die Zerstörung absehbar, weil ein starkes römisches Heer auf Jerusalem vorrückt. Markus beginnt seine Erzählung mit Johannes, dem Täufer, dem »Rufer in der Wüste« – weshalb ihm der Kirchenvater Hieronymus später das »Wüstentier«, den Löwen, als Kennzeichen zuweist. Wer dieser Markus war, weiß man nicht. Wo hat er gesessen und mit seiner Feder über den Papyrus gekratzt? In Galiläa oder in Syrien, im heute libanesischen Tyrus oder in Rom?
    Die meisten Forscher vermuten, dass Markus Heide war und zum Christentum übergetreten ist. Für die Heidenchristen schreibt er. Ihnen will er klarmachen, dass mit Jesus etwas Neues in die Welt gekommen ist. Dieser Jesus sagt: »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbat willen. So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.« Jesus steht also für Markus über den jüdischen Gesetzen. Markus betont die Bedeutung der Passionsgeschichte; Jesu Wanderung von Galiläa nach Jerusalem ist das Vorspiel des unerhörten Geschehens, jeder Schritt, den er tut, ist symbolbeladen; er bewirkt ein Wunder nach dem anderen. Doch der allmächtige Wundertäter stirbt schändlich am Kreuz, erniedrigt, ohnmächtig, tiefer kann keiner fallen – bis durch seine Auferstehung aller Welt offenbart wird: Er ist Gottes Sohn. Wo hat es das zuvor gegeben?
    Zehn, zwanzig Jahre später schreibt – vermutlich in Syrien – ein anderer Mann seine Version der Geschichte auf. Dramatisches ist passiert. Der Tempel ist zerstört, die Juden haben ihr religiöses Zentrum verloren. Um ihren Glauben zu bewahren, beschwören die Juden ihre Einheit, zurren Schriftgut und Gesetze fest. Die Christen sind nicht mehr nur eine seltsame Sekte innerhalb des Judentums, sondern Konkurrenz. Man grenzt sich schärfer gegeneinander ab und polemisiert. Jesus sei der uneheliche Sohn eines römischen Soldaten gewesen, ein Besatzerkind, heißt es. Der Evangelist hält dagegen: Jesus stammt kraft seines Ziehvaters Josef aus dem Hause des Königs David und ist der Sohn einer Jungfrau. In ihm erfüllt sich, was in der Tora vorausgesagt wurde.
    Um dem Text größere Autorität zu verleihen, wird er später dem Jünger Matthäus zugeschrieben. Stoff findet der Autor bei Markus, aber er hat noch eine andere Quelle, auf die später auch Lukas zurückgreift. Sie ist verschollen, keiner weiß, wie sie ausgesehen hat, die Forscher nennen sie Logienquelle Q. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Sammlung von Sprüchen und Weisheiten, die vermutlich zwei Jahrzehnte älter als das Markusevangelium ist. In der Quelle Q fehlt die Passionsgeschichte – Jesus ist ein Wanderprediger, Lehrer und Prophet, nicht der Erlöser am Kreuz. Ein Zufall? Oder weil der Auferstehungsglaube in dieser Tradition keine Rolle spielt? Aus dieser Quelle jedenfalls übernimmt Matthäus das Material für die meisten Reden Jesu und komponiert so auch die Bergpredigt und das Vaterunser.
    In Jesus erfüllt sich die Schrift der Juden, sagt Matthäus, und mahnt seine Gemeinde, der Tora die Treue zu halten. Deshalb gehen die Forscher davon aus, dass der Verfasser als jüdischer Schriftgelehrter ausgebildet wurde und für ein judenchristliches Publikum schreibt. Matthäus muss eindringlicher als Markus erklären, was Christen und Juden trennt und warum man unbeschnittene Heidenchristen in die Gemeinden aufnimmt. 50, 60 Jahre nach Jesu Tod ist es mit der Erinnerung an

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