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Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch

Titel: Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Pieper , Annette Großbongardt
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aller Anwesenden besserte sich der Zustand der Patientin schlagartig. Dabei hatte der Gast sie nur an der Hand gefasst und sie im Bett aufgerichtet. Nach den damaligen Sitten war die Berührung der Frau durch den jungen Fremden ein Tabubruch; doch sie hatte durchschlagenden Erfolg, und das zählte.
    Die Heilungsgeschichte aus dem Fischerdorf Kapernaum am See Genezareth findet sich in gleich drei Büchern der Bibel: Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten von ihr. Jesus, so der einhellige Befund, habe die Frau von ihrem Leiden befreit. Sie sei sogar wieder in der Lage gewesen, ihren Pflichten als Gastgeberin nachzukommen – um ihren Retter noch einmal zu stärken. Denn schon am Abend desselben Tages soll der die nächsten Wunderheilungen in Kapernaum vollbracht haben. Diesmal, so berichtet die Bibel, habe der Mann aus Nazareth gleich eine ganze Gruppe von Besessenen von ihrem Leiden befreit.
    Das Neue Testament schildert etwa 30 Fälle, in denen Jesus Kranke auf wundersame Weise geheilt haben soll. Freilich dienten die spektakulären Rettungsgeschichten vor allem der religiösen Legitimation des Menschensohns. Sie hatten aber auch einen ganz realen Hintergrund: Die Zeitgenossen Jesu litten häufig an Krankheiten, die Sterblichkeit war hoch. Infektionskrankheiten grassierten, denen die Medizin nichts entgegenzusetzen hatte – Tuberkulose, Malaria, Fleckfieber und Pest rafften immer wieder große Menschenmengen dahin. So tourten zahlreiche Wunderheiler durch die Lande. Bekanntheit erlangte unter anderem der Philosoph Apollonios von Tyana (um 40 bis 120), dessen Wirken in der Spätantike von einigen heidnischen Autoren sogar mit demjenigen Jesu verglichen wurde. Die Menschen in der Antike glaubten an göttliche Heilkräfte, sie hatten einen eigenen Gott dafür: Asklepios (Äskulap). Sie pilgerten zu Wallfahrtsstätten, legten sich in Heilschlaf und erwarteten, dabei wie durch ein Wunder geheilt zu werden.
    Doch ungeachtet aller mehr oder weniger segensreichen Helfer lebten die Menschen der Zeitenwende ein kurzes Leben. »Viele Leute starben schon im Alter von um die vierzig«, sagt der Medizinhistoriker Karl Heinz Leven von der Universität Erlangen. Ihre Arbeit war oft extrem anstrengend und, etwa im Baugewerbe, auch hochgefährlich.
    Wer wie der Wunderheiler Jesus den Tod nicht nur geistig, sondern auch ganz real in seine Schranken weisen konnte, der genoss hohes Ansehen. Genaue Statistiken zu Erkrankungszahlen und Sterblichkeit im Römischen Reich gibt es nicht, doch war die schlechte allgemeine Gesundheit offenkundig: So verraten die Grabsteine der Hafenstadt Ostia vor den Toren Roms zum Beispiel, dass knapp drei Viertel der Bestatteten nicht einmal 30 Jahre alt wurden. Viele tote Kinder wurden dabei noch nicht einmal erfasst. »Steinleiden in Blase und Niere traten häufig auf«, so Medizinhistoriker Christian Schulze von der Ruhr- Universität Bochum. Gegen die höllischen Schmerzen konnten die antiken Doktores wenig ausrichten. Und wenn sie es doch einmal versuchten, verschlimmerte das den Zustand des Patienten mitunter sogar noch. So berichtet der römische Medizinschriftsteller Aulus Cornelius Celsus (um 25 v. Chr. bis 50 n. Chr.) von einem Fall, in dem Ärzte den Blasenstein eines Patienten dadurch entfernten, dass sie diesen am Damm aufschnitten – und nach oben fingerten, bis sie den Störenfried ans Tageslicht hieven konnten. Eine wenig appetitliche Vorstellung, von den negativen Folgen für die Wundheilung ganz zu schweigen.
    Überhaupt, die Hygiene: Regelmäßig litten die Patienten nach Operationen unter schwersten Komplikationen. Von Bakterien und anderen Krankheitserregern hatte noch niemand gehört. Und selbst wenn sich Ärzte möglicherweise um ein gewisses Maß an Sauberkeit bemühten – zum Beispiel durch das Auswaschen einer Wunde mit Essig –, waren lebensbedrohliche Infektionen nach medizinischen Eingriffen oft nur eine Frage der Zeit. »Diese Leute sind erst richtig krank geworden, weil man sie behandelt hat«, erklärt Schulze. Umso größer muss man sich die Bewunderung für Heiler wie Jesus vorstellen, der offenkundig selbst schwerste Fälle auf Anhieb kurierte. Um die Reputation der Ärzteschaft war es in der Bevölkerung aus offensichtlichen Gründen nicht zum Besten bestellt: »Gesundheit wurde in der Antike zwar als wichtig angesehen, aber das Ansehen derjenigen, die für sie zuständig waren, wurde ziemlich niedrig bewertet«, berichtet der Altertumswissenschaftler

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