Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
Anhängern?
Es ist müßig zu versuchen, die Grenzen zu ziehen zwischen der Sachinformation in biblischen Erzählungen und einer Darstellung, die religiöser Verklärung dient und dem Willen zur Mission geschuldet ist. Denn es gibt diese Trennung nicht. Die Fischer sind vermutlich keine Erfindung von Gläubigen, die den Juden Jesus zum Sohn Gottes hochschreiben wollten. Religiöse Propaganda? Eher nicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann davon ausgegangen werden, dass es Hunderte Fischer in jener Gegend gab, in der Jesus predigte. Auch archäologische Funde sprechen für organisierten Fischfang am See Genezareth. So viele Fischerboote sollen dort zeitweilig herumgeschippert sein, dass sie im Konfliktfall sogar für militärische Zwecke beschlagnahmt wurden, schreibt der jüdische Historiker Josephus Flavius. Und selbst die Fischverarbeitung war angeblich schon möglich. Der frische Fang wurde demnach gepökelt, nur so konnte er transportiert und gehandelt werden. Neben den Fischerbooten gab es auch Handelsschiffe.
Einer der Fischer soll Simon geheißen haben, ein anderer Andreas, viel mehr ist über ihre soziale Stellung nicht zu erfahren. Simon wird unter dem Namen Petrus berühmt. Von Andreas heißt es, er habe jenen Jungen aufgetan, der Brot und Fisch lieferte, die Grundlage für die spektakuläre Speisung der Volksmassen durch Jesus. Dieser Jünger war demnach ein Organisationstalent, niemand, der nur niedere Arbeiten verrichtete. Kaum ein Experte zweifelt heute daran, dass Jesus Fischer zu Jüngern machte. Auch wenn nicht ganz so sicher ist, dass Petrus seinen Meister dabei beobachtete, wie er über den See Genezareth ging.
Auch den Beruf des Steuereintreibers gab es, dessen Beliebtheit sich aber offensichtlich schon damals in Grenzen hielt. Zöllner traktierten vor allem die Landbevölkerung. Sie trieben damals Pachten und Steuern ein, mitunter auch gewaltsam. Das Steuersystem war kompliziert: Selbst das Vieh, ja die gesamte bewegliche Habe wurde mit Abgaben belastet. Am See Genezareth wurden Fangrechte vergeben und Salzsteuern eingetrieben. Jesus rief auch Zöllner zu sich – einer von ihnen wurde sein Jünger. Stadt- und Landleben unterschieden sich sehr. Die Feldarbeit war – aus heutiger Sicht – von unglaublicher Härte bestimmt. Nicht jeder besaß einen Ochsen, den er vor seinen Pflug spannen konnte. Gesät und geerntet wurde bei sengender Hitze.
Mit welchen Berufsgruppen Jesus selbst zu tun hatte, darüber lässt sich nur spekulieren. Man kann allerdings seine Sätze genauer betrachten, seine Predigten und seine Gleichnisse sozialwissenschaftlich zerlegen. Meist bezieht sich Jesus auf sehr einfache Berufe. Von Tagelöhnern ist die Rede, die darauf warten, wenigstens für Stunden einen Job zu bekommen. Jesus tritt für deren Interessen ein – der Gutsherr möge sie besser entlohnen. Von Hirten spricht er, die verlorene Schafe suchen, von Bauern, deren Saat nur in Teilen aufgeht.
Von Siedlung zu Siedlung zog der galiläische Prediger. Seine Anhänger suchte er unter den Armen. Viele waren Landlose, die auf Wohl und Wehe den Großgrundbesitzern ausgeliefert waren. Auf den Marktplätzen warteten besitzlose Tagelöhner auf Arbeitsangebote. Von großen Spannungen zwischen Kleinbauern und Gutsherren berichten Historiker. Kleinbauern sind angeblich auch in der Familie Jesu nachweisbar: Der Schriftgelehrte Hegesipp berichtet im 2. Jahrhundert von Verwandten des Heilands, die Schwielen an den Händen haben, weil sie ehrbare Landarbeiter seien. Mühselige und Beladene werden sie von Jesus genannt, eine Formulierung, die heute meist symbolisch gedeutet wird. Möglich aber, dass diese Redewendung gar keiner Entschlüsselung bedarf. Lastenträger war damals ein Tagelöhnerjob, mühselig und beladen zogen sie durchs Land von Ort zu Ort. Wie Jesus selbst.
Kalter Fisch gegen Fieber
Die Medizin entwickelte sich in der Antike zur Wissenschaft, praktizierte Operationen und Arzneikunde. Doch die Erfolgsquote war gering – Jesu Zeitgenossen setzten auf Wunderheilungen.
Von Christoph Seidler
Schon seit Tagen war die alte Frau krank, Fieberschübe quälten sie. Dabei sollte sie am Sabbat doch den Gast ihres Schwiegersohns Simon Petrus bewirten, der nebenan in der Synagoge die Massen in Atem hielt. Nun war daran nicht zu denken, zu schlecht war ihr Zustand. Dann allerdings versprach der aufstrebende Wanderprediger namens Jesus, nach der Siechen zu schauen. So kam er an ihr Krankenlager – und zur Verwunderung
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