Jesus Von Nazareth - Und Die Anfaenge Des Christentums - Ein SPIEGEL-Buch
und Wissenschaftshistoriker Philip van der Eijk von der Humboldt-Universität in Berlin. »Das lag natürlich an der niedrigen Erfolgsquote.« Operieren, bestätigt sein Kollege Leven, »ließ man sich nur als Ultima Ratio, im ärgsten Fall«.
Das war neben der Angst vor Komplikationen auch darin begründet, dass chirurgische Eingriffe damals für gewöhnlich ohne Betäubung durchgeführt wurden. Eine Narkose, wie wir sie heute kennen, mit Ausschaltung von Bewusstsein und Schmerzgefühl bei gleichzeitiger Entspannung der Muskeln, gab es natürlich noch nicht. Mancher Doktor mag mit Betäubungsmitteln wie Opium oder Mandragora – heute besser bekannt als Alraun – experimentiert haben. Die Versuche blieben wohl ohne durchschlagenden Erfolg: »Die Dosierung schwankte zwischen Wirkungslosigkeit und Vergiftung«, sagt Schulze. Schuld daran waren die höchst unterschiedlichen Konzentrationen der beruhigenden Stoffe in den Ausgangspflanzen. Statt auf Narkose setzten die Mediziner deswegen auf die Hilfe kräftiger Assistenten. Sie hatten den zu Operierenden mit aller Kraft an Armen und Beinen zu packen. Lehrbücher empfahlen Chirurgen, sich vom Jammern der Patienten möglichst nicht ablenken zu lassen und eine ruhige Hand zu behalten.
Medizinhistoriker nehmen die antiken Ärzte indes in Schutz: »Das waren keine Sadisten, sondern Routiniers mit wenigstens einem Mindestmaß an Ausbildung«, sagt Christian Schulze. Auch sein Kollege Leven mahnt, »die technischen Fertigkeiten antiker Chirurgen nicht zu unterschätzen«. So konnten die Urväter der Medizin etwa bei Knochenbrüchen durchaus segensreich wirken. Überraschend erfolgreich verliefen auch zahlreiche sogenannte Trepanationen, bei denen Kranken der Schädel geöffnet wurde. Knochenfunde beweisen, dass dieser Eingriff seit mehreren tausend Jahren immer wieder durchgeführt wurde, auch in der Antike. An vielen der Schädel konnten Wissenschaftler dabei Heilungsspuren nachweisen. Hippokrates (um 460 bis 370 v. Chr.) gab in seinen Schriften auch Anweisungen für die delikate Schädeloperation.
Um das Medizinwissen der Jesuszeit war es allerdings höchst unterschiedlich bestellt. Intellektuelles Zentrum war unzweifelhaft Griechenland. Hier verfassten Denker über Jahrhunderte zahlreiche medizinische Schriften und erhoben so die Heilkunst zur Wissenschaft. Viele der Werke sind uns heute jedoch allenfalls als mittelalterliche Abschrift bekannt. Das wichtigste Konzept der griechischen Medizin war zweifellos die sogenannte Säftelehre. Entwickelt wurde sie um 400 v. Chr. von Hippokrates und seinen Schülern. In jedem von uns, so lautete ihre Theorie, pulsieren vier Flüssigkeiten als Lebensträger: gelbe Galle, schwarze Galle, Blut und Schleim. Wenn das sensible Gleichgewicht der Substanzen gestört wird, bei einer sogenannten Dyskrasie, treten Krankheiten auf. Dann konnte ein Arzt zum Beispiel mit einem Aderlass die Menge des Blutes reduzieren. Und mit einem Abführmittel oder durch Erbrechen ließ sich die Galle nach draußen befördern. Außerdem konnte er dem Kranken eine gezielte Diät verordnen. Die Nahrungsmittel wurden dazu wie auch die Säfte in die vier Kategorien eingeteilt: Heiß und kalt standen sich ebenso gegenüber wie feucht und trocken. Wer also eine »heiße« Erkrankung – Fieber – hatte, der sollte mit einem »kalten« Gericht kuriert werden, Fisch zum Beispiel. Die Säftelehre und die aus ihr abgeleiteten Gesundheitsregeln hatten über lange Zeit Bestand, im Prinzip bis zum Aufkommen der modernen Medizin im 19. Jahrhundert.
Anatomisch waren die Hellenen dagegen überraschend gut im Bilde. Vor allem die Gelehrten Herophilos von Chalkedon (etwa 330 bis 255 v. Chr.) und Erasistratos (etwa 305 bis 250 v. Chr.) sind bekannt für ihre Erkundungsreisen ins Körperinnere, bei denen sie unter anderem Lungenvene und -arterie entdeckten, den Unterschied zwischen motorischen und sensorischen Nerven, die Netzhaut des Auges, die Eileiter, die innenliegenden männlichen Geschlechtsorgane und manches mehr. Allerdings streiten Forscher heute darüber, ob die wissbegierigen Anatomen ihre Erkenntnisse bisweilen auch durch sogenannte Vivisektionen, also blutige Schnippeleien an lebenden Probanden, gewannen. Der Römer Celsus behauptet, die hellenischen Anatomen hätten ihr Wissen an bedauernswerten Strafgefangenen erprobt. Doch möglicherweise, so vermuten Forscher heute, wollte der Römer seinen Kollegen auch nur aus Neid üble Geschichten andichten.
Auch im alten
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