Jesus von Texas
crying ... «
Ich ziehe mein Hemd aus. Meine Haut ist mittlerweile fast vollständig geheilt von meinem Kunstprojekt. In großen blauen Buchstaben sind die Worte »Me ves y sufres« über meine Brust tätowiert. Mich sehen und leiden. Ein Sanitäter hilft mir auf die Bahre hoch, die eine körperähnliche Form hat, so wie das Loch, das zurückbleibt, wenn eine Comicfigur durch eine Wand kracht. Durch das Fenster erhasche ich einen kurzen Blick auf Jonesy in einem Raum weiter hinten; ich nehm an, daß er am Telefon der Gouverneursleitung die Stellung hält. Der Gouverneur ist der einzige Mann, der das alles jetzt noch stoppen kann, und dafür brauchte er schon einen verdammt überzeugenden Beweis. Jonesy wendet sich ab, als er mich sieht. Er steht nicht besonders nahe am Telefon.
Die Wärter fixieren mich mittels dicker Rindslederriemen mit Metallschnallen an der Bahre, dann sucht der Sanitäter eine Vene in meinem Arm und verpaßt mir eine winzige Injektion, ein Betäubungsmittel, nehm ich an. Anschließend befestigt er eine lange Nadel an einem Schlauch, der durch die Wand ins Hinterzimmer führt. Ich schaue weg, als er die Nadel in meine Vene schiebt. Einen Moment später beginnt kühle Lösung zu fließen.
Hinter der Scheibe, die mich vom Zeugenbereich trennt, erscheint eine Platzanweiserin, und dann kommen nach und nach die Leute und gehen zu ihren Sitzen. Die zerbrechliche, gebrochene Mrs. Speltz ist die einzige Person, die ich erkenne. Obwohl ihre gehetzt schauenden Augen eine Welle der Traurigkeit zu mir spülen, bin ich erleichtert darüber, daß sie das Highlight des Zeugenbereichs darstellt. Nichts da drin läßt vermuten, daß ich irgendwelche Partys verpassen werde, wenn ich nicht mehr bin. Der Gedanke hat den Kopf noch nicht wieder verlassen, als etwas Unheimliches passiert: Eine große und schöne junge Frau in einem blaßblauen Kostüm schiebt sich durch die hinterste Reihe zu ihrem Sitz und erweckt meine Weichteile aus ihrem Ruhestand. Sogar die Wärter drehen sich um und schauen zu, wie sie sich setzt und dabei sittsam den Saum ihres Rockes runterzieht. Dann schaut sie mich an - es ist Ella Bouchard. Ihre Ausstattung ist eingetroffen, und nicht zu knapp. Bluebonnet-Augen rufen mich durch das Glas der Scheibe.
Dann setzt »Sailing« ein, denn wenn das Schicksal einmal seine Schleusen öffnet, dann ganz. Ich versuche zu schlukken, aber das Innere meines Mundes ist wie aus Holz. Eine allerletzte Erkenntnis erreicht mich: Trotz aller Sirenen, Spielshow-Summer und Trommelwirbel des Lebens liegt es in der Natur des Menschen, still zu sterben. Ich meine, was soll das denn für ein Leben gewesen sein? Ein paar Filme und Leute, die über Filme reden, und Shows über Leute, die über Filme reden. Trotzdem, ich schätze, ich hab's nicht anders gewollt, negativ und destruktiv, wie ich war. Ich erinnere mich, daß ich einmal meinen Daddy anrief, damit er mich von irgendwo abholt, doch als er dann kam, war ich traurig, weil ich den Ort in der Zwischenzeit liebgewonnen hatte. Genauso holt mich der Tod.
Als ich ein Jucken an der Einstichstelle spüre, schließe ich die Augen. Die Stimmen werden gedämpft, und ich spüre, wie ich davongleite, hoch hinaus über die Bahre und hinein in einen Traum. Ich schaue auf mich selbst herunter, doch anstatt Panik und plötzlichen Tod zu erleiden, schwebe ich aus dem Raum nach draußen und fliege über die Landschaft. Der Geruch von frisch gemähtem Gras füllt meine Sinne, und wie selbstverständlich werde ich heim zum Beulah Drive transportiert. Da drüben ist das Haus von Mrs. Porter, und da ist unser Vorgarten. Es ist heute, es ist jetzt. Die Gottesanbeterin pumpt im Takt meiner Seele, als ein schwarzer Mercedes Benz in unsere Auffahrt biegt und bei Mrs. Lechuga der Vorhang wackelt. Mom ist heute abend nicht zu Hause, wie ungewöhnlich. Sie ist mit Pam essen gegangen. Ich sehe Lally aus dem Auto steigen. Gesegnet für die Hölle sei der Schweinehund. Gesegnet seien seine Knochen, auf daß sich ihre Trümmer durch die Ligamente seiner zermatschten Augen bohren, gesegnet sei sein Mund, auf daß er mir die Galle aus dem Schwanz saugt, bis er daran zugrunde geht, tief unten an einem kalten Ort, wo er bei vollem Bewußtsein zerquetscht und zitternd daliegt, begraben unter wimmelnden Würmern und dem Schleim der verfluchten Organe, die aus ihm rausplatzen und auslaufen, während ich daneben stehe und lache.
Der Wunsch, den ich ihm gewährt habe, scheint ihn aufgekratzt zu
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