Jesuslatschen - Größe 42
das nicht her, dieser verstörte Mensch ist zu aufgebracht.
Extrem, erst diese Freude über den beginnenden schönen Tag und andererseits so
eine Begegnung. Sicher bin ich mir, dass die Reaktion wieder einmal nur eine
Reflektion auf meine äußere Gestalt ist. Sicherlich würden sich diese
Situationen anders gestalten, wenn ich ein Schild mit der Aufschrift
„Pilger - Pilgrim - Peregrino “
tragen würde. So möchte ich aber weiß Gott nicht herumlaufen.
Bei
einem Espresso nehme ich Abstand von dieser Begebenheit und bereite mich auf
die heutige Tagesetappe vor.
Nun
passiert es, ich verlasse den „Camino de la Costa“ (Küstenweg) und begebe mich
auf den „Camino del Norte “ (Nördlicher Weg). Die
Markierungen sind außerhalb der Stadt etwas unübersichtlich. Man sollte auch
wissen, dass die Wegmarkierungen des Jakobsweges in Galicien anderer Art sind
als in Asturien . Die „ Flecha amarilla “ (gelben Pfeile) sind ja eindeutig. Das sind
einfach mit gelber Farbe aufgebrachte Pfeile an Hauswänden, Steinen, Bäumen,
Schildern. Diese sind meist an Wegkreuzungen zu finden, an welchen die
offizielle Beschilderung fehlt. Die Jakobsmuscheln an den, Kilometersteinen
ähnlichen, Wegweisern zeigen in Richtung Santiago de Compostela. In Galicien
weist die offene Muschel in Richtung Santiago, wie eine offene weisende Hand.
Während in Asturien das geschlossene Muschelsymbol
zum Ziel zeigt. Einem Kometen gleich. Diese Umkehr der Symbolik kann durchaus
zu Irritationen und kilometerlangen Umwegen führen. Unter der Muschel ist meist
auf einem dafür vorgesehenen Schildchen die Entfernung bis nach Santiago
angegeben.
Etwas
weiter an einer Asphaltstraße, zeigt ein Wegweiser unmissverständlich das
Terrain einer Mülldeponie an. Direkt neben dem Schild liegt hinter einer wild
gewachsenen Hecke das bislang idyllischste Plätzchen des Tages. Hinter dem
grünen Gesträuch ergießt sich in ein kleines Becken eine klare Quelle. Auf der
Bank davor lasse ich mich nieder und raste. Das Wasser verlockt, aber das
Hinweisschild auf die Mülldeponie hält mich wiederum vom Genuss fern. Nach
einiger Zeit hält ein Auto hinter der „sprechenden Hecke“. Gleich darauf kommt
ein waschechter Galicier durchs Gebüsch. Er führt
zwei leere zehn Liter Plastikkanister mit sich und lässt diese wortlos mit dem
frischen Quellwasser vollaufen . Erst jetzt bekommt er
mich mit, hält kurz inne und grüßt ebenso wortlos in meine Richtung. Hat hier
vielleicht jemand den Ton abgestellt? Nachdem wir dann doch noch einige
unverständliche Worte gewechselt haben, teilt er mir mittels internationaler Zeichensprache
pantomimisch mit, dass diese Quelle ein Gesundbrunnen ist.
Eine
Kostprobe gleich aus der Hand bestätigt seine Anpreisungen. Ein halber Liter
wird gleich vor Ort mit einer Magnesiumtablette veredelt und als Muskeltonikum
getrunken. Zweimal ein halber Liter verschwindet anschließend noch in die
Seitentaschen am Rucksack.
Nachdem
mein Kur- und Kneipp- Galicier wieder schweigend durch
die Hecke entschwunden ist, erfrische ich ausgiebig meinen abgezehrten Körper
an diesem Quell. In dem Moment ein Lebenselixier. Nach der Erneuerung bin ich
scheinbar so beseelt, dass ich vom Weg abkomme und in Villamar lande.
Ein
paar Kilometer außerhalb des Ortes, entdecke ich mitten in einem Eukalyptuswald
eine Kaninchenfarm. Umfriedet mit einem Maschendrahtzaun über welchen um das
ganze Objekt herum blickdichte grüne Planen gespannt sind.
Dort
hocken tausende weiße Kaninchen in mehreren, dreißig Meter langen und vier
Meter breiten Drahtkäfigen. Ein absolut trauriges Bild. Über ihnen verdunkelt
ein tonnenartiges Wellblechdach die Sonne. Und unter den Käfigbatterien liegt
tonnenweise stark riechender Kaninchenkot. Menschen sind nicht zu sehen. Ein
Silo versorgt über eine automatische Fütterungsanlage die Tiere im Zeittakt mit
Rationen von staubtrockenen Pellets. Angeschlossene Wasserschläuche geben der
ganzen Szenerie das Fluidum einer Intensivstation. Meine Reaktion ist Wut. Wut
auf Kühltruhen, die immer und überall superbillig Lebewesen anbieten. Am Liebsten hätte ich in dem Moment alle Tiere frei gelassen.
Das jedoch obliegt mir nicht, ich wehre mich in Zukunft anders.
Um
ein Foto ohne Zaun machen zu können, steige ich auf einen kleinen Erdhügel. Ich
recke mich, um auch einen Gesamteindruck dieses Schandfleckes auf das Bild zu
bekommen. In dem Moment rutscht mein Fuß weg und ich stürze rückwärts, mit dem
schweren
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