Jesuslatschen - Größe 42
überdenke ich meine jetzige
Situation und komme abgewandelt von einem ähnlichen Spruch zu der Erkenntnis:
„Essen ist die Erotik des Pilgers“.
Die
hinter mir gelassenen Wege und Begebenheiten tauchen plötzlich als Bilder vor
mir auf. Es ist ein kleines Fest, die einzelnen Stationen entlang der Küste
nochmals in Gedanken vorbeiziehen zu sehen.
Mit
kleinen schmerzhaften Schritten gehe ich im Dunkeln etwa hundert steile Stufen
vom Hafen zur Brücke hinauf. Sofort assoziiere ich die späte Strapaze mit
meiner ersten Dombesteigung im „Kölner Dom“ 1990. Der Treppenaufgang ist
„dufte“, denn links oder rechts von mir muss sich hinter einer Mauer ein
Kräutergarten verbergen. Diesen Duft, vermischt mit der frischen Meeresluft,
möchte ich am liebsten einfangen und mit nach Hause nehmen. Den Lohn für den
anstrengenden Aufstieg erhält die Nase.
Die
Herberge finde ich leider wieder verwaist vor. Es ist auch kein anderer Mieter
eingezogen. Gerne hätte ich mich heute noch mit jemandem unterhalten. Sicher
schläft die geschaffte Mitbewohnerin schon im Auto auf der Autobahn nach
Madrid. Den Pilgerweg wird die junge Frau bestimmt später einmal weitergehen,
denn gerade das ist keine Frage der Zeit.
Ich
bin zwar fußlahm , aber der Abend ist zu schön, um zu
schlafen. Mit Tagebuch und Fotoapparat bewaffnet, gehe ich in den nahen, von
Laternen erhellten, Park. In der Nähe befinden sich restaurierte Teile von
historischen Wehranlagen. Über einen Steg gelange ich auf die, als
Aussichtssteg umgestalteten, Reste der ursprünglichen Eo -Brücke.
Etwa fünfzig Meter über dem Fluss sitze ich, an das Geländer gelehnt, unter
einer Laterne und schreibe ein paar Zeilen. Ein schönes und erhabenes Gefühl
über dem, hier oben lautlosen, Strom zu sitzen. Ich muss sagen, bei aller
Freude über das Erlebte, das Gefühlte kommen nun ganz allmählich auch Gedanken
an das Erlittene und an die Schmerzen. Meinem Körper habe ich bislang viel
abgerungen. Und mir selbst so aus dem Stand heraus viel zugemutet. Seit vorgestern
bin ich ganz schön ausgepowert. Es ist einfach keine Reserve mehr zu entdecken,
welche noch Energien freisetzt. Das Laufen wird schwer und die Etappen „ corto “ (kurz). Ich möchte nicht jammern, aber es schlaucht
einfach.
Wie
sacht hier vor mir das Meer in diese breite Mündung hineinschaut. Wie kraftvoll
traf es heute Morgen auf die Felsen. Und nun ergibt sich der Strom kampflos
dieser Unendlichkeit. Ein Meer ist eben auch nur ein Mensch. An dieser Stelle
über dem Fluss nehme ich endgültig Abschied vom Meer. Als Gruß blinkt in der
Ferne der Leuchtturm zurück. Mich hat es endgültig ergriffen, emotional und
so...
„Wie fühlt man sich allein zu
sein, frei zu sein. Ohne Richtung und ohne Sinn, wie ein rollender Stein.“
„Like a Rolling Stone" Bob Dylan
Good Night ,
Hans.
Montag, 08.05.2006
(Tag der Be -frei- ung )
Ribadeo - Mondonedo
Der
Weg ist vergleichbar mit dem fortwährenden Lichtschimmer auf dem Fluss am
gestrigen Abend. Goldener Glanz, scheinbar endlos, stetig in Bewegung. Er
bringt immer neue Formen und Elemente zusammen. Die Lichtpunkte schimmern klar,
sind aber von der Substanz her niemals dieselben.
Der
Tag ist jung, der Körper etwas regeneriert, also weiter geht es! Die ersten
Schritte führen in die erwachende Innenstadt von Ribadeo .
Wieder das morgendliche Bild: Straßenfeger bei ihrer Arbeit, die Spuren der
Nacht aufzukehren. Junge Señoras gehen in die Büros oder Geschäfte. Die Cafés
sind von zeitunglesenden sich unterhaltenden Menschen belagert, welche sich
ihren Morgenkaffee in dieser Atmosphäre nicht nehmen lassen möchten.
Ein
Park voller Denkmäler als Erinnerung an ehrenwerte Helden und geschlagene
Schlachten längst vergangener Zeiten, lädt mich nach kurzer Wandereinlage zur
Rast ein. Ich möchte einfach hier unter den Platanen sitzen und diesen Morgen
einfangen. Ein Genuss. Als ich weitergehe, kommt mir ein gut gekleideter Herr
entgegen. Mir fällt ein silberner Knauf an seinem Gehstock auf, irgendwie
strahlt er Würde und Stolz aus. Mich verblüfft es umso mehr, als mich eben
dieser Señor angrummelt . Ich bedeute ihm im
Weitergehen, nichts verstanden zu haben. Plötzlich stellt er sich hin und
schreit mir lauthals undefinierbare spanische Wortgruppen hinterher und droht
mit seinem Stock, diesem eben noch bewunderten Kunstobjekt. Hält er mich etwa
für einen Penner? Gerne möchte ich mich mit ihm auseinandersetzen. Aber die
Situation gibt
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