Jesuslatschen - Größe 42
Rucksack, den kleinen Hügel hinunter. Dieses Bild des gefallenen
Helden lässt mich noch hilfloser vor dieser trostlosen Kulisse erscheinen.
Auf
dem weiteren Weg begegne ich einem schlafenden Schäferhund, ohne Kette. Mittags
pennen die Hunde hier meist, wenn sie dann ausgeschlafen haben, wollen sie dann
aber auch bellen. Und das nervt. Sehr! Diese bellenden Vierbeiner haben mir
einiges beigebracht. So zum Beispiel höre ich an Hand des Hundegebells wie weit
jemand vor mir ist oder ob jemand hinter mir läuft. An dem Abstand der
Zaunlatten lässt sich erahnen, wie groß der zu erwartende Vierbeiner eigentlich
ist. Betrachtet man sich den Hundekot in der Nähe von ländlichen Grundstücken,
kann man ebenfalls die Größe des Tieres und die Fressgewohnheiten ableiten.
Die
Haltung des Schwanzes des hundigen Gegenübers lässt
ebenso tief blicken. Je mehr dieser zwischen seinen Hinterbeinen verschwindet,
umso mehr Respekt zollt er dem Pilger. Oder umgedreht? Auch könnte man die Anzugsordnung
spanischer Briefträger auf Risse und Flicken untersuchen. Leider hab ich auf
dem Lande nie einen dieser mutigen Herren gesehen. Hundelegenden von Mitpilgern
sind oftmals auch sehr wertvoll.
Diesen
dösenden Schäferhund hier, einige Meter vor mir, kann ich laut meiner
bisherigen Erfahrungen einfach nicht einschätzen. Deshalb nehme ich einen
erschwinglichen Umweg über einen Feldweg in Kauf. Mir kommt sofort der Spruch
„schlafende Hunde soll man nicht wecken“ in den Sinn. An dieser Stelle nicht nur
sinngemäß, sondern direkt als Objekt, 1:1 vor mir liegend.
Eins
hat der Umweg eingebracht, ich habe eine echte Pilgerpfad-Legende zu Gesicht
bekommen. Mir kommt aus der Ferne ein älterer Mann entgegen. Mit sich führt er
an einem Seil einen Esel. In der anderen Hand hat er einen, ihn überragenden,
Pilgerstock und eine Gerte. Der grauhaarige Herr steckt in Sandalen, hat einen
grünen Regenmantel an und ein Basecap auf dem Kopf.
Das Gesicht ist von der Sonne ledern. Der Esel, ganz in braun, mit grünen,
prall gefüllten Packtaschen bestückt. In mir reift die Ahnung, wer da
entgegenkommt. Unterwegs habe ich in einer Herberge gehört, dass ein Pilger mit
einem Esel unterwegs sein soll. Nun stehen wir uns leibhaftig gegenüber. Mit „ Ultreia “ begrüßen wir uns. Ich bin etwas verwirrt. Kommt
der Eselspilger nicht aus der verkehrten Richtung?
Überzeugt,
dass er in der falschen Richtung unterwegs ist, zeige ich in meine
Marschrichtung und sage mit Nachdruck: „Nach Santiago geht es dort entlang.“
Er
lächelt und macht mir klar, dass er aus Madrid kommt. Von dort ist er nach
Santiago gelaufen und nun geht er die nördliche Route zurück nach Madrid.
Einfach bemerkenswert. Er muss sich zwar täglich mit seinem störrischen Esel
auseinandersetzen, braucht dafür aber kein Gepäck zu tragen. Überlegenswert.
Ein Foto von dieser Symbiose, dann ein „Buen Camino“ und wir gehen den Weg in
entgegengesetzten Richtungen weiter. So eine Legende mit Esel hat an einem
einsamen Pilgertag eine Wertigkeit, als wäre Elvis gerade auf „ Iltschi “, dem Pferd von Winnetou, vorbeigeritten.
Mich
plagen nun späte Frühstücksgelüste, die Kirchturmuhr in luftiger Höhe zeigt elf
Uhr. Die Zeit ist mir ab einem gewissen Punkt unwichtig geworden. Jedoch diese
alten Turmuhren haben es mir angetan. Vor einiger Zeit bin ich mit einem
Uhrmacher in Verbindung getreten um meinem Sohn einen interessanten Beruf zu
ermöglichen. Dieser Uhrmachermeister aus Holleben versteht sich in der Reparatur alter Uhren. Und er ist in Sachsen Anhalt noch
einer der Wenigen seines Faches, welche sich an Turmuhren heranwagen. Mit
richtigem hemdsärmeligen Handwerk und nicht nur Batteriewechsel. An den
spanischen Kirchtürmen hätte er alle Hände voll zu tun, denn diese sind in
ländlichen Gegenden größtenteils in einem der Zeit unwürdigen Zustand.
Diese
Türme mit oder ohne Zeit betrachte ich als Zeitzeugen. Ganze Gemeinden bekamen
durch diese mechanischen Werke die Zeit vorgegeben. Die beiden Zeiger am Turm
ließen die Menschen, in Ermangelung einer eigenen Uhr, kurz innehalten und
aufschauen. Die Zeit war weiter, der Takt ein anderer. Das Leben war durch
Geburt und Tod begrenzt.
„Zeiten und Weiten“
Puhdys
Im
nächsten Ort betrete ich ein kleines Lokal und störe scheinbar eine Señora beim
Kartoffelschälen. „Das Lokal ist geschlossen, es gibt nichts!“, so übersetze
ich ihre mit dem Schälmesser fuchtelnde Aussage. Mein
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