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Jetlag

Jetlag

Titel: Jetlag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edna Schuchardt
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schön es war, Besuch zu haben, nach sechs Wochen begann auch der liebste Gast störend zu wirken. Besonders, wenn er, wie Mel, langsam die Wohnung in ein Chaos verwandelte, dauernd neue Typen anschleppte und seine Interessen schneller wechselte als seine Unterwäsche.
    Herbi, dem Schauspieler, war schon zwei Tage später ein Lehrer gefolgt, woraufhin Mel wild entschlossen verkündete, umgehend ein Germanistikstudium zu beginnen. Dann hatte ihr ein junger, wild aussehender Schlagzeuger den Floh ins Ohr gesetzt, sie könne singen, worauf Mel von einer Karriere als Sängerin träumte. Momentan war sie auf dem Ökotrip, weil sich ihr Wochenabschnittslebenspartner bei Greenpeace engagierte. Sie hatte sich sogar einen ganzen Tag lang zusammen mit anderen Aktivisten vor einem Werkstor eines bekannten Chemiekonzerns angekettet und die darauffolgende Nacht dafür prompt im Gefängnis verbracht.
    Claire hatte es aufgegeben, ihr gute Ratschläge zu erteilen. Eigentlich hatte sie nur noch den Wunsch, daß die Freundin endlich auszog, aber selbst zu diesem Rauschmiß konnte Claire sich nicht aufraffen.
    "Du mußt endlich Nägel mit Köpfen machen", erklärte Rita, die das Treiben aus der Ferne aufmerksam beobachtete. "So geht das doch nicht weiter. Du rennst vor allen Entscheidungen davon. So kenne ich dich gar nicht! Außerdem solltest du wirklich mal zum Arzt gehen. Du siehst aus wie der Tod auf Latschen."
    "Ja, ich weiß." Claire fühlte sich an diesem Tag wie eine Schlafwandlerin. Sie kam überhaupt nicht richtig zu sich. "Aber ich denke immer, so ein Jetlag kann doch nicht ewig dauern."
    "Vielleicht hast du dir in den Staaten irgendeinen Virus eingefangen?" Rita betrachtete sie aufmerksam. "Oder es ist einfach psychosomatisch. Ich meine, du schiebst ja wirklich einen Haufen Unrat vor dir her. Du bist immer noch mit Bertram verlobt, obwohl du ihn längst nicht mehr ausstehen kannst, du hast dieses verrückte Huhn am Hals, daß ich an deiner Stelle schon am zweiten Tag rausgeschmissen hätte Mensch, Claire, heb endlich den Hintern hoch und schicke deine beiden größten Probleme zum Teufel!"
    Claire sah sich müde im Laden um. Wenn Sonny nicht so fit gewesen wäre, würde es hier wahrscheinlich mittlerweile aussehen wie Kraut und Rüben. Aber die gute, treue, zuverlässige Sonny hielt die Geschäftsräume in Schuß.
    "Vor allem sollte sie zum Arzt", mischte sich die Verkäuferin jetzt ein. Sonny hielt sich sonst eher aus Claires privaten Angelegenheiten heraus. Daß sie sich heute dazu äußerte konnte nur bedeuten, daß Claire ärmlicher aussah, als sie es sich selbst eingestehen mochte.
    "Stimmt", pflichtete Rita der Angestellten bei. "Hör' wenigstens einmal auf das, was dir andere Leute sagen. Geh zum Arzt, am besten gleich!"
    Claire horchte alarmiert auf.
"Gleich?"
    "Gleich!" antworteten Rita und Sonny wie aus einem Munde. "Ich rufe gleich mal Dr. Liebstock an, ob du vorbeikommen kannst", fügte Rita hinzu und eilte in den Aufenthaltsraum, bevor Claire sie zurückhalten konnte.
    "Sie tut das einzig richtige", nickte Sonny und wandte sich wieder dem Regal mit den Leggins zu, das dringend geordnet werden mußte.
    Claire starrte tatenlos vor sich hin. Sie war selbst zu schwach, um zu protestieren. Vielleicht war sie kränker, als sie bisher wahrhaben wollte? Plötzlich sprang die Angst sie an. Was, wenn sie irgendeine schlimme Infektion oder noch etwas weitaus dramatischeres, unheilbares in sich trug?! Leukämie - Nierenversagen - Ebolavirus - die Diagnosenamen blitzten wie Flashlights in ihrem Hirn auf. Wie hatte sie nur so unbedarft, unvorsichtig, blauäugig sein können, die Symptome zu verharmlosen?
    Jetzt war es vielleicht schon zu spät! Im Geiste hörte Claire eine imaginäre Stimme "Tja, Frau Schalmoney, es tut mir leid, aber wenn sie einen Tag eher gekommen wären..." sagen.
    "Claire!" Ritas Zuruf riß Claire aus ihren Überlegungen. Sie zuckte zusammen und starrte die Freundin wie erwachend an. "Du sollst gleich kommen", informierte Rita sie. "Die Sprechstundenhilfe sagt, momentan sei nicht viel los. Drei Patienten haben ihre Termine nicht eingehalten, da kannst du bequem mal reinrutschen. Aber du sollst dich beeilen."
    "Mich beeilen..." Claire schluckte nervös. "Oh, Rita, ich - ich..."
    "Du mußt zum Arzt!" bestimmte Rita resolut. Als Claire keine Anstalten machte, sich in Bewegung zu setzen, packte sie sie einfach am Arm und zerrte Claire hinter sich her zur Tür.
    "Ich komme am besten mit dir", beschloß Rita,

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