Jetlag
zusammenzucken.
"Hat sie sich etwa derartig geäußert?"
"Nein." Hastig schüttelte Bert den Kopf. "Nein, sie hat nichts dergleichen gesagt. Nur..." Hilflos hob er die Schultern. "...manchmal habe ich so den Eindruck, als ob sich Claire nicht mehr so sicher ist."
"Dann solltest du das schnellstens herausfinden." Hilde-Maries Tonfall ließ keinen Widerspruch zu. "Du wirst in kürze sechsunddreißig, da ist es nicht mehr so einfach, eine Frau zu finden. Jedenfalls keine, die nicht schon gebunden ist oder war. Und für meinen Sohn wünsche ich mir eine Frau ohne Vergangenheit."
Bertram war unter den Worten seiner Mutter noch mehr in sich zusammengesunken.
"Ja, Mutter", murmelte er unglücklich. Natürlich konnte er verstehen, daß sich Mutter Entlastung wünschte. Sie hatte ja wirklich viel zu tun. Da war einmal das Geschäft, das Hilde-Marie mit eiserner Hand führte, und dann das große Haus und nicht zuletzt er selbst, um den sie sich kümmern mußte.
Zugegeben, heimlich dachte er manchmal, daß er sich auch sehr gut um sich selbst kümmern könnte. Und wenn Hilde ihn endlich ließe, würde er wohl auch mit dem Schreibwarenladen fertig werden. Aber Hilde behauptete steif und fest, daß er dazu nicht in der Lage sei. Er brauchte eine leitende Hand, die ihn durchs Leben führte, und diese leitende Hand besaß sie.
Weshalb sie dazu die Hilfe einer Schwiegertochter benötigte, hatte Bertram bis heute nicht begriffen. Erstens konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen, daß seine Mutter einer anderen Frau die Pflege ihres Sohnes, Leitung ihres Geschäfts und des Haushalts überlassen würde und zweitens mochte sich Bertram lieber nicht die Szenen ausmalen, die sich mit einem zweiten weiblichen Wesen im Hause abspielen würden. Der Leidtragende wäre unter Garantie er, der zwischen den beiden Hyänen zerrieben werden würde.
"Eigentlich sind wir doch so, wie es momentan ist, auch sehr zufrieden", wagte es Bertram aus diesen Überlegungen heraus, vorsichtig zu erwähnen. "Ich meine, eine dritte Person würde im Grunde doch nur stören..."
Er verstummte erschreckt, als Hilde-Marie aufsprang.
"Schluß damit!" fuhr sie ihn an. "Ich will endlich dem Gerede in der Verwandtschaft ein Ende machen, daß du vielleicht..." Sie verstummte und schüttelte ärgerlich den Kopf. "Nein, es wird Zeit, daß du heiratest. Ende der Diskussion!"
Bertram schwieg verschüchtert. Daß Claire gar nicht daran dachte, sie am kommenden Samstag zu Tante Henni zu begleiten, sagte er seiner Mutter vorläufig lieber nicht. Hilde-Marie hätte ihm wahrscheinlich den Kopf abgerissen. Also beschloß er, sich lieber hinter Schweigen zu verschanzen und die Dinge erst einmal auf sich zukommen zu lassen.
Vielleicht würde das Schicksal ja von sich aus eine Lösung all seiner Probleme finden.
Kapitel 15
In den kommenden Tagen sah Claire recht wenig von Melanie. Genaugenommen zeigten eigentlich nur ihre überall herumliegenden Sachen, daß Mel noch bei ihr wohnte. Persönlich begegneten sich die Freundinnen nie, denn Mel war unterwegs, wenn Claire von der Arbeit nach Hause kam und schlief, wenn Claire am Morgen wieder das Haus verlassen mußte.
Erst eine gute Woche nach dem lautstarken Auftritt in der Boutique begegneten sich die beiden erneut, und auch dieses Wiedersehen verlief nicht gerade harmonisch.
Claire pflegte punkt sieben Uhr aufzustehen. In den letzten Tagen fiel ihr das noch schwerer als in den Tagen nach ihrer Rückkehr. Irgendwie schien sich ihr Körper an die europäischen Zeit- und Klimaverhältnisse überhaupt nicht mehr anpassen zu wollen. Claire fand nachts kaum Schlaf, kam dafür aber tagsüber kaum in die Gänge. Wenn der Wecker morgens klingelte, fühlte sie sich, als würde ein riesiger Mühlstein an ihrem Hals hängen. Am liebsten wäre sie gar nicht aufgestanden und hätte den ganzen Tag im Bett verbracht.
Ihr Appetit litt unter diesen Umstellungsschwierigkeiten. Sie brauchte eigentlich nur etwas Eßbares zu sehen, schon drohte sich ihr der Magen umzustülpen. Außer Sauerkraut, das sie pfundweise hätte essen können, ging nichts an sie.
An diesem Morgen fühlte sich Claire besonders elend. Mit schleppenden Schritten schlurfte sie ins Badezimmer, stellte sich unter die Dusche und drehte den Kaltwasserhahn auf, in der Hoffnung, daß die eisigen Strahlen ihren Kreislauf etwas in Schwung bringen würden.
Sie hielt die Luft an, als der kalte Schauer auf ihre Haut niederprasselte. Hui, das war ja die reine
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