Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
ersten Oktober bin ich in Hamburg. Und es ist doch nett, wenn man in einer neuen Stadt schon jemanden kennt.«
Ich beeilte mich, zur U-Bahn zu kommen. »Ey, Alte, pass gefälligst auf!« Ich fuhr eigentlich gern mit der U-Bahn. Zum Beispiel am späten Vormittag, wenn es freie Sitzplätze gab. Jetzt hing ich stehend in einem überfüllten Waggon mit einer Hand im Haltegurt und versuchte bei jedem Stopp das Gleichgewicht zu halten. Gerade hatte ich dem pickeligen, streng riechenden Jüngling neben mir versehentlich den Ellbogen in die Seite gestoßen. Meinen freien Arm hielt ich schützend über Jackie.
Niendorf-Markt stieg ich aus, um im nächsten Tierfachgeschäft getrocknete Lunge zu besorgen, ehe ich weiter nach Hause fuhr. Das Zeug stank ekelhaft, selbst durch die Tüte, in die es eingeschweißt war. Aber es wirkte Wunder, wenn ich einem gewissen verhaltensgestörten Terrier die Leine anlegen wollte, ohne gleich darauf zum Arzt zu müssen. Im Bus, der mich nach Hause brachte, rümpften jetzt diejenigen die Nasen, die das Pech hatten, neben mir zu stehen.
»Herkules! Hiiierher! Herkules!« Ich kam mir mächtig albern vor, als ich eine knappe Stunde später in meinem alten roten Jogginganzug durch die Siedlung lief und in jedes größere Gebüsch brüllte. Es war mittlerweile fast dunkel, ich konnte die Büsche nur noch schemenhaft erkennen, und es wurde empfindlich kühl. Außer mir war kaum noch jemand auf der Straße. »Herkules, komm her, du dummer Hund!« Aus einer Seitenstraße kam ein alter Mann mit dicker Strickjacke und Krückstock geschlurft. »In Hamburg herrscht Leinenzwang«, blaffte er mich an und fuchtelte mit der Krücke. »Erklären Sie das dem Hund!«, blaffte ich zurück. Ich hätte dem radikalen Rentner natürlich auch sagen können, dass Herkules sehr wohl an der Leine war. Nur war diese Leine nicht mehr in meiner Hand. Das kleine Mistvieh hatte sich vor ungefähr zwanzig Minuten losgerissen, um einem Eichhörnchen nachzujagen. Anfangs hatte ich ihn noch kläffen hören, jetzt nicht mehr. Entweder war er inzwischen verdammt weit weg, oder er hatte sich mit der Leine irgendwo verfangen und erhängt. Die zweite Vorstellung hatte durchaus ihren Reiz. Sorry, Julia.
»Herkules – hiiierher!«, rief ich wieder, zog die Joggingjacke enger um mich und fror trotzdem. Noch fünf Minuten, schwor ich mir, dann würde ich aufgeben und den Hund seinem Schicksal überlassen. Plötzlich hörte ich ein Bellen. Es kam aus Richtung Hundewiese. Mir hätte natürlich sofort klar sein müssen, dass es unmöglich Herkules sein konnte, der da bellte. Wenn Herkules bellte, dann klang er wie Verona Poth mit Halsweh. Hier bellte sozusagen Tom Waits. Richtig bewusst wurde mir diese kleine Diskrepanz allerdings erst, als ich fünf Minuten später im Licht einer Straßenlaterne stocksteif am Rand der Wiese stand und vor mich hin flüsterte: »Wenn du mir nichts tust, tu ich dir auch nichts!« Keine zwei Meter von mir entfernt stand ein Ungetüm von einem Hund mit grauem zotteligem Fell. Sein Kopf war ungelogen größer als mein eigener. Und das Tier war offensichtlich wütend.
Unter normalen Umständen hätte ich wohl versucht, mich unauffällig zurückzuziehen. Wie man das eben so macht, wenn man gerade einen Killer mit entsicherter Waffe entdeckt hat, der noch in die andere Richtung guckt. Doch nicht ich war es, die der wütende Hund im Visier hatte. Es war Herkules. Dieser größenwahnsinnige Winzling hüpfte unter dem Riesen auf und ab und versuchte, ihn in den grauen Bauch zu beißen. Normale Umstände würde ich das nicht nennen. »Gehört der verrückte Kleine Ihnen?«, kam von links eine amüsierte sonore Stimme. Auf einer Bank am Rande des Lichtscheins erkannte ich die Umrisse eines Mannes. Anscheinend verfolgte er das Schauspiel schon länger. »Äh ja, das heißt nein, der gehört meiner Tochter. Herkules! Aus!« Genauso gut hätte ich der Sonne befehlen können, wieder aufzugehen. – »Der pariert ja aufs Wort.« Dazu gab es nichts zu sagen. Was sollte ich denn jetzt machen? Ich traute mich nicht näher an den großen Hund heran, der vergeblich versuchte, den Quälgeist unter sich zu erwischen.
Der Mann stand von der Bank auf und kam auf mich zu. Kaum dass er in den Schein der Straßenlaterne trat, dachte ich: Wow, was macht denn David Garrett auf der Hundewiese in Niendorf? Und wo ist seine Geige? Dann fiel mir ein, dass David Garrett, soweit ich wusste, noch keine grauen Haare hatte. Aber genau so ein
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