Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Lächeln, genau so einen Pferdeschwanz, genau so markante Augenbrauen und genau so einen Dreitagebart. Nur eben nicht in Graumeliert. Einen Augenblick war ich sprachlos, aber dann drang das Tom-Waits-Bellen wieder in mein Bewusstsein. »Äh, der große Hund ist wohl Ihrer?« – »Ja, das ist Floh, ein irischer Wolfshund.« Floh. Natürlich. Diese Hundebesitzer hatten doch alle einen Schaden. »Könnten Sie vielleicht etwas unternehmen?« – »Wenn Sie möchten. Von mir aus können die beiden auch noch weiterspielen.« Spielen? Wenn das Spielen war, hätte ich nicht dabei sein mögen, wenn die Hunde sich stritten. Flohs Besitzer gab ein leises Kommando. Sofort machte der Hund einen Satz und saß an Herrchens Seite. Neben dem hochgewachsenen Mann wirkte er nicht mehr ganz so riesig. Herkules kapierte gar nichts. Er stand da wie bestellt und nicht abgeholt. Bevor er begriffen hatte, wohin sein Sparringspartner verschwunden war, griff ich mir seine Leine. »Danke.« – »Gern geschehen.«
Ich hatte den Mann hier noch nie gesehen. Während ich Herkules nach Hause brachte, fragte ich mich, ob er wohl nur zufällig mit seinem Wolfsmonster in der Nähe gewesen war. Oder ob er vielleicht irgendwo hier wohnte. Vielleicht war er ja regelmäßig auf der Hundewiese? Da ging ich mit Herkules nicht hin, weil dort die Tiere ohne Leine liefen und Herkules – na ja. Andererseits, dachte ich mir jetzt, wäre ein bisschen freier Auslauf vielleicht gut für seinen Gefühlshaushalt. Im Moment lief er erstaunlich brav neben mir her. So wie ein freundlicher, ausgeglichener Hund. Dafür konnte ich doch mal ein bisschen Warten auf mich nehmen, wenn er mir weglief? Aber zuerst musste ich zum Frisör. Und zu einem Outdoor-Ausstatter. Mein schlabbriger roter Jogginganzug sah einer Zukunft in der Altkleidersammlung entgegen.
»Wie geht es Samara?« Knut war spät nach Hause gekommen, das Gesicht grau vor Erschöpfung. »Sie hat das Baby noch. Aber sie muss ständig unter Beobachtung bleiben.« Ich freute mich für Knut und für Samara; ich hatte ja nichts gegen den Affen an sich. »Die neue Tierärztin ist wirklich top, total kompetent und unaufgeregt. Die hat das super hingekriegt heute.« Schön. »Aber es liegen natürlich noch gut sechs Monate vor uns.« Sechs Monate was? »Wir haben heute schon mal den Plan aufgestellt. Diese Woche übernimmt Jens die Nächte, die Woche drauf dann ich, dann Jutta.« – »Wer ist Jutta?« – »Die neue Ärztin.« Ach so. Und die sechs Monate bezogen sich wohl auf die Restschwangerschaft, die Samara unter ständiger Beobachtung bleiben sollte. »Sei nicht böse, Lilli, aber ich hau mich gleich hin, ich bin fix und fertig.« – »Hast du denn keinen Hunger?« – Ich hab im Zoo gegessen.« Zehn Minuten später war er geduscht, gab mir ein flüchtiges Küsschen und ging ins Bett.
Da saß ich nun, allein in unserer Küche, aß ein Käsebrot und starrte auf die Pinnwand über dem Tisch. Es war das klassische Korkmodell. Knut pinnte da immer mal wieder Anzeigen für Höfe oder Häuser im Hamburger Umland dran. Wobei er »Umland« ziemlich großzügig auslegte. Die meisten der Inserate waren längst vergilbt. Dazwischen hingen Telefonnummern von Ärzten, Fotos von unseren Katzen und ein kleiner kitschiger Cartoon. »Liebe ist … das Glück miteinander zu teilen.« Den hatte auch Knut aufgehängt, vor Jahren. Fast bekam ich bei dem Anblick ein schlechtes Gewissen. Aber dann fiel mein Blick auf eine noch ziemlich neue Anzeige, die gleich neben dem Cartoon prangte: »Gemütliches Reetdach-Landhaus mit Einliegerwohnung, eigenem Weideland am Fluss und Stallungen«. Wie hatte Knut voller Begeisterung gesagt? »Nur eine Stunde von Hamburg entfernt! Und Mutti könnte bei uns wohnen.« Knuts Traum. Den wir uns jetzt leisten könnten. O nein, ich würde mein Glück erst einmal nicht teilen. Jedenfalls nicht mit Knut. Stattdessen nahm ich den »Liebe ist …«-Cartoon von der Pinnwand und warf ihn in den Müll.
Ich überlegte, mit wem ich mein Glück denn sonst teilen könnte. Ehrlich gesagt überlegte ich das nicht zum ersten Mal. Natürlich hatte ich zuerst an Tina gedacht, das war einfach ein alter Reflex. Aber selbst wenn sie den Hörer abnähme, falls ich sie anriefe, würde sie mir mit ihrem Ehrlichkeitswahn nur die Hölle heißmachen, weil ich Knut nichts sagen wollte. Dann war da Helen. Ich mochte sie gern, aber wir waren keine engen Freundinnen, und ich war mir auch nicht sicher, ob sie den Mund halten
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