Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
dass er mich für die hochbegabte Tochter eines Diplomaten und einer international gefeierten Sängerin hielt, die demnächst in New York Design studieren würde. Hätte Tina ihm nicht irgendwann gesteckt, dass mein Vater Installateur war, meine Mutter als Sängerin nicht mal im Dülmener Kirchenchor Karriere machen konnte und ich selbst eine Ausbildung zur Sekretärin absolvierte, er hätte sich vielleicht nie getraut, mir den Hof zu machen.
»Lilli?« Plötzlich drang Tims Stimme wieder zu mir durch. »Entschuldige, ich habe gerade nicht aufgepasst.« – »Nein, ich muss mich entschuldigen. Ich rede schon wieder viel zu viel und noch dazu von Dingen, die dich wohl kaum interessieren.« – »Ist nicht so schlimm, und Selbsterkenntnis bekanntlich der erste Schritt zur Besserung.« – »Ehrlich wie immer.« Er schenkte mir sein absolut betörendes Lächeln, das meine Haut prickeln und mein Hirn zu Pulver zerfallen ließ. Konnte mir bitte jemand einen Krümel ins Gesicht zaubern, damit er ihn wegwischte?
Tim gelang es tatsächlich, in der folgenden Stunde kein einziges Tier mehr zu erwähnen und auch nicht mehr über Leute zu sprechen, die ich nicht kannte. Stattdessen redeten wir über Filme, über das Hamburger Wetter, über alles Mögliche. Wir lachten viel und tranken noch eine zweite Flasche Wein. »Möchtest du noch etwas Süßes?«, fragte Tim schließlich. »Nee, ich kann nicht mehr. Nur einen Espresso bitte.« Wir mussten eine kleine Weile warten. Der Laden wurde immer voller; inzwischen waren fast alle Tische besetzt. »Und du bist wirklich nicht böse, dass du den Tag morgen allein verbringen musst?« O, da hatte ich vorhin wohl etwas verpasst. Ich gab mir Mühe, meine Stimme entspannt klingen zu lassen, und lächelte, obwohl ich schon ein bisschen enttäuscht war. Aber Tim sollte bloß nicht glauben, ich wäre seinetwegen hier in Spanien. Ich war hier, um Energie zu tanken, sonst nichts. »Natürlich ist das okay. Du bist doch nicht mein Fremdenführer.« Wir verabredeten uns für den übernächsten Tag. Wenn das sonnige Wetter hielt, versprach Tim, würde er mit mir an einen besonders schönen Strand fahren.
Auf dem Parkplatz am Hotel machte er keine Anstalten auszusteigen. Er saß hinter dem Steuer und starrte nach vorn. Von draußen beschien Laternenlicht sein Profil. Ich fragte: »Noch einen Wein an der Bar?« Er drehte mir sein Gesicht zu. Kam mir das nur so vor, oder hatte sich seine Miene verdüstert? – »Ich muss morgen wirklich früh raus, ein anderes Mal, ja?« – »Ist alles in Ordnung, Tim?« – »Ja sicher, ich bin nur müde.« Hm. »Na dann, bis übermorgen. Gute Nacht.« Ich stieg aus, warf die Autotür zu und ging auf den hell erleuchteten Eingang des Hotels zu. Der Transporter fuhr schon den Hügel hinunter, ehe ich die Tür aufgedrückt hatte.
Nichts auf dieser Welt ist schlimmer als ein leeres Hotelzimmer in der Nacht, wenn die Einsamkeit erwacht. Das ist nicht von mir, sondern aus einem alten Lied von Nena. Und so wahr. Nicht, dass ich mir vorgestellt hätte, in dieser Nacht mit Tim durch die Laken zu toben (höchstens mal ganz kurz, immer dann, wenn er mich anlächelte), aber dass er mich so sang- und klanglos verabschieden würde, damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Um ehrlich zu sein, fühlte ich mich zurückgestoßen und verletzt. Warum nur verhielt er sich so widersprüchlich, war in einem Moment herzlich, fast liebevoll, und dann wieder distanziert? Sollte ich ihn darauf ansprechen? Nein. Da konnte ich mich ihm ja gleich an den Hals werfen.
Schlaflos wälzte ich mich in dem großen Bett hin und her, kämpfte mit der schweren Bettdecke, wünschte mich in mein Bett in Hamburg und fragte mich die ganze Zeit, was zum Teufel ich falsch gemacht hatte. Hatte ich ihn mit meinem spontanen Kuss heute verschreckt? Fand er mich aufdringlich? Dann dachte ich: Alles Quatsch. Du hast nichts falsch gemacht, du bist falsch. Es war doch von Anfang an klar, dass eine Frau wie du für einen Mann wie Tim überhaupt nicht in Frage kommt. Paart sich ein Panther mit einer Maus? Also. Über diesem Gedanken schlief ich endlich ein.
An dieser Stelle sehe ich mich gezwungen, einmal mehr über die Kraft des andalusischen Lichts zu sprechen. Keine Ahnung, wie viel Lux nötig sind, damit sich so eine nächtliche Blitzdepression vollkommen in Luft auflöst, aber als ich am nächsten Morgen in einer windgeschützten Ecke der Terrasse mein Frühstück einnahm, verglühten all meine
Weitere Kostenlose Bücher