Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
tun. Ein paar Sekunden verstrichen, in denen wir uns unsicher ansahen. Schließlich brachte ich den überaus intelligenten Satz »Ja, da bin ich also« heraus und streckte Tim die Hand entgegen. Tim lachte, umarmte mich und küsste mich rechts und links auf die Wangen. »Willkommen, schöne Lilli! Komm, gib mir dein Gepäck, wir müssen ein Stück laufen.«
Draußen empfingen uns ein wolkenloser Himmel, eiskalter Wind und staubige Palmen. Das Flughafengelände war eine Baustelle. Tim ging vor mir her zu einem großen Parkplatz und lud mein Gepäck in einen klapprigen grauen Transporter mit orangefarbener Beschriftung. »Nicht das neueste Modell, aber Vera und Jörg stecken ihr Geld lieber ins Tierheim.« Von mir aus hätte Tim mich auch mit einem Traktor abholen können. Wir fuhren vorbei an von Abgasen ergrauten Hochhäusern und riesigen Plakatwänden. Keine Spur von Zitronenbäumen. »Ist Ayamonte auch so eine große Stadt?« – »Nein, Ayamonte ist ganz anders, du wirst es bestimmt mögen. In einer knappen Stunde sind wir da.«
Tim drückte eine CD in den Player. Laute Gitarrenklänge erfüllten den Wagen und übertönten die Motorengeräusche. »Wer ist das?« – »Paco de Lucia.« Aha. Nie gehört. »Stört es dich?« Ich schüttelte den Kopf. Im Gegenteil. Die Musik passte wunderbar zu der Sonne und zu den grünen Hügeln, an denen wir jetzt vorbeifuhren. Und zu meiner Stimmung. Mit jedem Kilometer, den ich mich weiter von Hamburg entfernt hatte, war mir leichter ums Herz geworden. Ja, schon klar, man kann vor seinen Problemen nicht weglaufen. Aber ich wollte sie wenigstens für eine Weile vergessen. Sobald ich zurück war, das hatte ich mir geschworen, würde ich die Ära der gelben Zettelchen beenden.
Inzwischen kamen wir an endlosen Orangenplantagen vorbei, verfallene Bauernhäuser setzten weiße Tupfen auf die Hügel. Dann öffnete sich die Landschaft, als wollte sie die Arme ausbreiten, und in einiger Entfernung schimmerte rechts von mir das Meer. »Guck mal!«, rief ich und zeigte begeistert mit dem Finger nach draußen. Tim lachte. »Ja, das ist der Atlantik. Du hast übrigens Glück, bis letzte Woche hat es hier viel geregnet, deshalb ist auch alles so grün. Aber in den nächsten Tagen soll es sonnig bleiben.«
Eine hohe, schmale Brücke kam in Sicht. Tim drehte die Musik leiser. »Das ist die Brücke über den Grenzfluss, den Rio Guadiana. Da drüben siehst du Vila Real de Santo António auf der portugiesischen Seite und gegenüber das ist Ayamonte.« Ich fand es sehr merkwürdig, nach einer guten Stunde in Portugal jetzt in Spanien anzukommen. Die Drahtseile der Brückenkonstruktion vibrierten furchterregend im Wind, während wir den Fluss überquerten. »Siehst du?« Tim reduzierte die Geschwindigkeit und zeigte nach rechts. »Da mündet der Fluss ins Meer.« Weiße Boote schipperten unter uns auf blauem Wasser, ich sah sogar ein großes Segelboot gen Meer ziehen. Das war schon was anderes als die Alster. Tim nahm die erste Ausfahrt nach der Brücke. »Ich verstehe immer noch nicht, warum du unbedingt im Hotel wohnen willst. Meine Freunde haben jede Menge Platz und sind da ganz unkompliziert.«
Das konnte schon sein, aber ich nicht. Mit Tim in einem Transporter zu sitzen war eine Sache. Mit ihm unter einem Dach zu wohnen eine ganz andere. Ich traute meinem neuen Ich nicht über den Weg. Wenn es mich spontan nach Spanien fliegen lassen konnte, dann waren ihm auch ganz andere Dinge zuzutrauen. Ich ging lieber auf Nummer sicher. »Das hat nichts mit deinen Freunden zu tun; ich bin einfach lieber in einem Hotel als bei Leuten, die ich nicht kenne. Da bin ich wohl ein bisschen konservativ.« Mal ganz abgesehen davon bekam ich allein bei der Vorstellung, in einem Vier-Sterne-Hotel zu residieren, rote Bäckchen. Aber ein Gefühl sagte mir, dass Tim dafür wenig Verständnis haben würde. Er zuckte mit den Achseln. »Wie du willst.« Bildete ich mir das ein oder klang er ein bisschen verdrossen?
Zehn Minuten später rollte der Wagen an einem alten Kloster oder Schloss oder so was vorbei in die Zufahrt zum Hotel. Es lag auf einem Hügel. Und zu meinem Entzücken parkten wir zwischen mehrere Meter hohen Dattelpalmen. Die waren doch fast so gut wie Zitronenbäume. Kaum war ich aus dem Auto gestiegen, da lief ich auch schon an den Rand des Parkplatzes. »Tim, guck nur, diese Aussicht!« Über das Dach einer Kirche hinweg sah ich unter mir die weißen Häuser von Ayamonte und am Horizont als gleißenden
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