Jetzt ist gut, Knut (German Edition)
Streifen den von der Sonne bestrahlten Atlantik. Dieses Licht! Diese Helligkeit! Tim stellte sich neben mich. Eine kleine Weile standen wir so. Wir sprachen nicht. Ich lauschte dem Rascheln der Palmwedel im Wind, hörte weit weg jemanden lachen, dann ein Auto starten, schnupperte Düfte, die ich nicht kannte, badete in diesem unglaublichen Licht. Es war, als würde mir die Sonne direkt in die Seele scheinen. Langsam drehte ich mich zu Tim um. Und niemand war überraschter als ich selbst, als ich ihm plötzlich einen Kuss auf den Mund drückte und sagte: »Danke. Danke, dass du mich überredet hast, hierher zu kommen.« Während er noch verdattert guckte, griff ich schnell nach meinem Koffer und lief ins Hotel.
Meine Güte, das war aber mal eine große Halle. Der riesige Raum, den ich vom Eingangsbereich aus überblickte, war offenbar an den Hang gebaut und fiel in langen Stufen allmählich ab, bis er an einer Fensterfront endete, hinter der ich eine Terrasse zu erkennen glaubte. Auf verschiedenen Ebenen waren Sitzgruppen verteilt, keine sah aus wie die andere. Und trotz seiner dunklen Holzdecke und des braunen Fliesenbodens wirkte der Saal hell und freundlich. Ich wandte mich nach rechts. Hinter einem schlichten, fast schon schäbigen Holztresen saß der Portier. Wo blieb eigentlich Tim? Ich wollte schnell einchecken und dann einen Kaffee mit ihm trinken. Vielleicht auch ein Gläschen Sherry. Schließlich machte ich Urlaub in Andalusien, und hier kam der gute Sherry doch her.
Durch die große Glastür sah ich nach draußen auf den Parkplatz, wo Tim soeben in den Transporter stieg. Wo wollte er denn hin? Der Motor lief schon, als ich den Wagen erreichte und die Fahrertür aufriss. »Tim! Was hast du vor?« – »Ich dachte, ich fahr dann mal.« – »Das sehe ich. Aber wieso?« – »Du hast dich doch eben verabschiedet.« – »Habe ich das?« – »Hast du nicht?« – »Nein.« – »Na dann.« Gleichzeitig mit diesem tiefschürfenden Gespräch erstarb das Motorengeräusch. »Ich dachte, wir trinken vielleicht noch etwas zusammen?« Er sah auf die Uhr. »Gegenvorschlag: Du richtest dich hier erst mal ein, und ich hole dich um sieben ab. Dann gehen wir unten in der Stadt erst was trinken und dann essen. Was meinst du?« Fast konnte man meinen, das Hotel hätte die Pest oder so. Ich war ein bisschen enttäuscht, lächelte ihn aber an und sagte. »Auch gut, dann bis um sieben.« Dann würde ich meinen Sherry eben allein trinken.
Kaum hatte ich meinen Koffer in einem großen freundlichen Zimmer mit marineblauen und hellgelben Wänden sowie einem französischen Bett abgestellt, war ich auch schon auf dem Weg zu der Terrasse, die ich beim Hereinkommen am Ende der großen Halle gesehen hatte. Erst jetzt entdeckte ich die Bar, die sich neben der Tür zur Terrasse versteckte. Hinter dem langen Tresen stand eine junge Frau. Ich bestellte auf Englisch Kaffee mit Milch und einen Sherry und trug die Getränke hinaus auf die Terrasse in das Licht des späten Nachmittags. Vor meinen Augen schlängelte sich in üppigen Kurven der Fluss Guadiana gen Norden. An einem der Teakholztische saßen ein blonder Mittvierziger und ein jüngerer dunkelhaariger Mann und tranken Bier. Wir waren die einzigen Gäste.
Die Sonne verlor deutlich an Kraft, und es wurde empfindlich kühl. Ich zog meine Strickjacke fester um mich, suchte mir einen Platz im Windschatten, der gerade noch von der Sonne beschienen wurde, trank von dem starken heißen Kaffee, nippte am Sherry und versuchte zu begreifen, dass ich tatsächlich hier saß. Vorhin an der Rezeption hätte ich fast den Namen Lillian Reich in das Formular eingetragen, so unwirklich kam mir die Situation vor. Aber hier war ich, Lilli Karg. Die Lilli, die sonst nur im Kopf auf Reisen ging oder mit Knut in den Schwarzwald fuhr. Deren Leben bis vor kurzem so interessant war wie trocken Brot.
Tim wartete vor dem Hotel auf mich. In Jeans und einem dunkelblauen Pullover aus dicker Wolle lehnte er an dem grauen Transporter und sah aus, als wollte er gleich das nächste Scheit aufs Lagerfeuer legen. Ach du je. Ich selbst trug unter einem langen Mantel mit kleinem Pelzkragen meinen Hosenanzug von Strenesse samt den feinen Pumps und hatte die Gucci über den Arm gehängt. Bei Tims Anblick fühlte ich mich so passend gekleidet wie eine Nonne unter Nudisten. Tims Blick verriet weniger Anerkennung als Erstaunen. War ja auch kein Wunder, auf der Hundewiese lief ich natürlich nicht so rum. »Nimmst du mich
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