Jetzt tu ich erstmal nichts - und dann warte ich ab
der Kälte nimmt die Klarheit zu.« Ihm bleiben noch 12 Minuten, bis er zum Festakt im voll besetzten Rathaus abgeholt wird. Ihm gelingt es, noch eine
halbe Seite zu Papier zu bringen. Es werden die kürzesten Dankesworte in der Geschichte der Bremer Auszeichnung: »Gerade, als sich die Zuhörer auf meine
Rede einzustellen begannen, war sie auch schon vorbei gewesen.«
Auch für das Entgegennehmen des Österreichischen Staatspreises legt sich Bernhard nur ein paar Zeilen zurecht. Gerne würde er sie zur Begutachtung noch
seiner Tante vorlesen, aber das Taxi wartet schon vor der Tür …
In Bernhards Roman Beton kreist die Geschichte um die betoniert scheinende Blockade der Hauptfigur Rudolf, eine »wissenschaftlich einwandfreie
Arbeit« über den Komponisten Mendelssohn-Bartholdy zu verfassen. Seit zehn Jahren verpasst er jeden Tag den ersehnten »besten Moment«, um den erstenSatz aufzuschreiben. Es kommt immer was dazwischen. Zuvor trug Rudolf »alle nur möglichen und unmöglichen Schriften von und über
Mendelssohn-Bartholdy« zusammen. Erst kann Rudolf nicht schreiben, weil seine verhasste Schwester zu Besuch kommt. Kaum ist sie abgereist, kann er nicht
schreiben, weil er Angst hat, dass die Schwester wiederkommt.
Selbst die Flucht aus dem engen Bergidyll Österreichs an die weitläufigen Strände Mallorcas erstickt die Motivation im Keim. Kurz nach der Ankunft
erinnert sich Rudolf an ein Unglück, das sich dort vor anderthalb Jahren ereignet hat. Seine Spurensuche macht auch nur den geringsten Gedanken daran, den
ersten Satz des geplanten Textes zu beginnen, undenkbar.
Rudolf ist ein Paradebeispiel für den Zusammenhang von Aufschieben und Perfektionismus. Schließlich strebt er eine »einwandfreie« Arbeit an. Sein
Verhalten entwickelt eine typische Dynamik. Bevor eine Sache nicht absolut perfekt wird, fangen wir Aufschieber sie gar nicht erst an: Ein Termin steht
fest, an dem etwas fertig sein soll. Wir haben noch alle Zeit der Welt, um die Aufgabe perfekt zu machen. Dann rückt der Termin immer näher und näher –
und am Ende machen wir es in der letzten Minute, dass wir froh sind, es überhaupt geschafft zu haben. Aber hinterher können wir sagen: »Dafür, dass ich es
in so kurzer Zeit geschafft habe, ist es ganz schön perfekt geworden!« Und den Nervenkitzel gibt es frei Haus.
Ein weiteres Merkmal outet Rudolf als Perfektionisten unter den Aufschiebern. Statt sein Vorhaben einfach zu beginnen, stürzt er sich in filigrane
Vorarbeiten. Kein Schriftstück, das je über Mendelssohn-Bartholdy verfasst wurde, darf seiner zeitraubenden Recherche entgehen. Ein bewährtes Mittel: So
lange ein noch so nebensächliches Detail fehlt, ist es dem Aufschieber unmöglich, anzufangen.
Die vielfältigen Aktivitäten zur Vorbereitung räumen aber mit einem weit verbreiteten Vorurteil auf: Wir Aufschieber seien faul. Ich möchte den
Unterschied zwischen einem Aufschieberund einem Faulenzer gerne anhand einer Eselsbrücke klarstellen: Ein Faulenzer tut richtig
nichts. Aber ein Aufschieber tut nichts richtig.
Die Technik ist simpel. Wir schließen einfach keinen Arbeitsschritt richtig ab. Vielmehr verstehen wir uns auf die Kunst, mehrgleisig zu fahren. Zur
Not vermengen wir die Planung und Durchführung einer Aufgabe in einem einzigen gewaltigen Arbeitsschritt. In einer Zeit, die von uns verlangt,
multi-tasking fähig zu sein, nehmen wir tapfer alle Aufgaben gleichzeitig an. Dann lassen wir ganz demokratisch alle Aufgaben gleichsam liegen. Manchmal
haben wir mit dieser Strategie sogar Glück. Die Zeit arbeitet für uns und die Dinge erledigen sich durch Aussitzen von selbst. In den meisten Fällen
arbeitet die Zeit aber nicht für uns, sondern wir arbeiten für die Zeit.
Erfreulich ist, dass sich mittlerweile ganze Berufsgruppen als Aufschieber zu erkennen geben. Der ISL (Interessenverband Schiebender Lehrer) hat vor
kurzem auf einer Pressekonferenz zugegeben, dass unsere Methode längst Schule gemacht hat:
»Okay, wir Lehrer sind auch Aufschieber. Es gibt im Grunde nur noch drei Formen der Didaktik: Die Autodidaktik, die Türklinkendidaktik und die
Hammerdidaktik. Bei der Autodidaktik überlegt sich der Lehrer morgens im Auto, was er heute im Unterricht machen will. Bei der Türklinkendidaktik überlegt
sich der Lehrer genau in dem Moment, in dem er die Türklinke zum Klassenraum herunter drückt, was er heute im Unterricht wohl machen will. Und bei der
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