JFK -Staatsstreich in Amerika
Texas Theater bei der Verhaftung Oswalds zugegen
– was der Kinobesucher George Applin bezeugte. 47 Am Nachmittag versuchte er, im Polizeirevier den Raum von Captain Will Fritz zu
betreten, in dem Oswald verhört wurde, und auf der späteren Pressekonferenz
mischte er sich unter die Reporter. Dass er am Tag nach dem Kennedy-Mord, den
Aussagen einige seiner Angestellten und weiterer Zeugen zufolge, völlig
aufgelöst war und häufig in Tränen ausbrach, hatte nicht mit seiner Trauer um
den toten Präsidenten zu tun, sondern damit, dass Oswald – anders als geplant –
festgenommen worden war und überlebt hatte. Nun hatte Ruby den Auftrag, den
Sündenbock, der zu viel wusste, aus der Welt zu schaffen.
Von wem konkret dieser Auftrag kam,
ist unbekannt, lässt sich aber anhand seiner Telefonate in den Monaten vor und
nach dem Attentat, die das HSCA 1979 untersuchte, eindeutig umreißen. Die
Telefonaufzeichnungen zeigen, das Ruby in dieser Zeit mit mindestens sieben
bekannten Mafiosi telefonierte, darunter mit Barney Baker, dem gefürchteten
»Executor« Jimmy Hoffas, mit Dusty Miller, dem Assistenten Hoffas, mit Lenny
Patrick, laut HSCA »einem der führenden Killer« aus Sam Giancanas Chicagoer
Mafiafamilie, mit Lewis McWillie, der für Meyer Lansky und Santo Trafficante
mehrere Casinos leitete, mit Nofio Pecora, einem Verbindungsmann des New
Orleanser Paten Carlos Marcello und Freund von Emile Bruneau, der für Oswald
die Kaution hinterlegt hatte, nachdem dieser wegen der Rangelei mit
Anti-Castro-Aktivisten ins Gefängnis gekommen war. 48
Dass Ruby Oswald im Auftrag der
Mafia zum Schweigen brachte, wird auch von einer Zeugin belegt, die sich
gegenüber dem Journalisten Jeff Morley nach fast 50 Jahren zum ersten Mal
äußerte: der Tänzerin Gail Raven, die als 20-Jährige im Carousel Club in Dallas
aufgetreten war und in die sich Jack Ruby verliebt hatte. Auf die Frage, warum
Ruby Oswald ermordete, antwortete sie: »Er hatte keine Wahl. Jack hatte Bosse
wie jeder andere auch. Er bekam den Auftrag, was er zu tun hätte, und deshalb
hat er es getan. Und als sich die Gelegenheit ergab, ergriff er sie.« Gail
Raven glaubt, dass Rubys Freunde im Polizeiquartier ihn über die Verlegung
Oswalds informiert hätten. Als sie ihn im Gefängnis besuchte, sagte er ihr, sie
solle sich keine Sorgen machen, in einigen Wochen komme alles in Ordnung. »Jack
war nicht verrückt, wie es überall dargestellt wird. Er hatte
Temperament, und wenn er sah, dass etwas schief lief, nahm er es selbst in die
Hand, anstatt sich wie andere auf seine Türsteher zu verlassen.« 49
Im
Labyrinth der Verschwörungstheorien
Die seit fünf Jahrzehnten
ungeklärte Verschwörung zum Mord an John F. Kennedy ist, wie Jeff Morley in der Los Angeles Times schrieb, »der Rorschachtest der amerikanischen
Politik« 50 : Sage mir, was du
denkst, wer JFK umgebracht hat – und ich sage dir, was du über die Natur
amerikanischer Macht und Politik denkst. Die Nicht-Ermittlungen und
Vertuschungen des Falles ermöglichen es bis heute, den Kennedy-Mord zu
benutzen, um die unterschiedlichsten politischen und historischen Weltsichten
zu rechtfertigten. Oder anders: Für jeden noch so kruden oder einfältigen
ideologischen Topf gibt es einen passenden JFK-Deckel.
Da sind zunächst einmal die einst
vom »guten Hirten« James Angleton angetriebenen Schäfchen, die immer noch den
Großfeind Sowjetunion und den verschlagenen KGB hinter der Tat wittern, auch
wenn die Beweislage gleich null ist und die damalige politische Großwetterlage
– die Annährung von Chruschtschow und Kennedy – deutlich dagegen spricht.
Selbiges gilt für die Fraktion, die
nach wie vor Castro und sein revolutionäres Kuba zum Kennedy-Mörder erklären.
Den Filmemacher Wilfried Huismann hinderte freilich diese Unauffindbarkeit
jeglicher Beweise nicht daran, dem WDR einen Haufen Geld aus der Tasche zu
ziehen und 2006 einen aufwändigen Dokumentarfilm unter dem Titel Rendezvous
mit dem Tod darüber zu machen. Kuba- und KGB-Bashing kommen auch nach dem
Ende des Kalten Krieges im Westen immer noch gut, und noch so dubiose
Phantastereien lassen sich als Dokumentation verkaufen, selbst wenn sie nach
einem Blick ins Geschichtsbuch und den Gesetzen der Logik keinerlei Sinn
machen. Man muss nur den Bericht eines Augenzeugen, des Le-Monde -Journalisten
Jean Daniel, zur Kenntnis nehmen, der Fidel Castro in Havanna am 22. November
1963 gerade interviewte, als der Bericht von den Schüssen in Dallas
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