Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer
seine wirkliche Mutter bin. Vielleicht ist es ja Frau Mahlzahn, an die damals das Paket adressiert war. Ich bin sehr traurig, aber andererseits freue ich mich für meinen kleinen Jim, wenn er jetzt seine richtige Mama findet. Ich hoffe nur, sie ist nicht allzu böse auf mich, weil ich ihn bei mir behalten habe. Bitten Sie doch Frau Mahlzahn, daß der Junge nach Lummerland zu Besuch kommen darf, damit ich ihn nochmal sehen kann. Oder vielleicht hat sie Lust mit herzukommen? Dann würde ich sie auch kennenlernen, das wäre das allerbeste. Und nicht wahr, Sie sorgen schon dafür, daß Jim sich nicht in Gefahr begibt? Er ist so ein leichtsinniger kleiner Bub. Herzliche Grüße!
Frau Waas.«
Lukas faltete nachdenklich das Blatt zusammen. Jim hatte Tränen in den Augen. Ach ja, das war Frau Waas, wie sie leibte und lebte, so lieb und gut! Nun las Lukas auch noch den dritten Brief vor:
»Sehr geschätzter Herr Lokomotivführer! Mein lieber Jim Knopf!
Hiermit schließe ich mich der Bitte Seiner Majestät und unserer allseits verehrten Frau Waas auf das innigste an. Ich komme mir nahezu überflüssig vor, seit Jim mir keine Streiche mehr spielt. Und Sie, Herr Lokomotivführer, sind ein Mann, dessen Rat und Tat niemand in ganz Lummerland entbehren kann. Meine Wasserleitung tropft, und ich vermag sie nicht in Ordnung zu bringen. Kehren Sie doch freundlichst beide umgehend zurück!
Mit vorzüglicher Hochachtung! Ihr sehr geehrter Herr Ärmel!«
Jim mußte wieder lachen und wischte sich die Träne ab, die ihm über die schwarze Backe gelaufen war. Dann fragte er: »Jetzt könnten wir doch eigentlich morgen früh losfahren?« Lukas schmunzelte:
»Fragt sich nur noch, womit. Muß unsere gute dicke Emma wieder mal herhalten, oder könnten wir ein Schiff bekommen, Majestät?«
»Ich schlage vor, wir fahren auf meinem Staatsschiff«, erwiderte der Kaiser.
»Wir?« fragte Lukas überrascht. »Haben Sie ›wir‹ gesagt?«
»Natürlich«, erwiderte der Kaiser, »Sie beide, meine Tochter Li Si und ich selbst. Ich möchte nämlich gerne Frau Waas kennenlernen, die mir eine sehr liebe und achtenswerte Frau zu sein scheint. Außerdem muß ich doch auch König Alfons den Viertel-vor-Zwölften besuchen, da unsere beiden Länder ja vermutlich in absehbarer Zeit diplomatische Beziehungen anknüpfen werden.« Dabei blickte er lächelnd auf Jim.
»Donnerwetter!« rief Lukas lachend, »das wird ja ein tolle s Gedränge auf Lummerland geben. Unsere Insel ist nämlich wirklich sehr klein, Majestät.«
Dann wandte er sich an Fing Pong und erkundigte sich:
»Können wir morgen früh in See stechen?«
»Wenn ich sogleich meine Befehle erteile«, piepste der Oberbonze, »dann ist das Staatsschiff bis morgen früh bereit.«
»Famos«, antwortete Lukas, »dann erteile doch bitte gleich deine Befehle!«
Fing Pong hüpfte in die Höhe und rannte davon. Für einen so winzigen Oberbonzen war das alles ja eigentlich ein bißchen viel, aber dafür war er nun eine Respektsperson in Mandala und durfte einen goldenen Schlafrock tragen. Würden bringen eben Bürden, wie schon ein altes mandalanisches Sprichwort sagt.
Sechsundzwanzigstes Kapitel
in dem die Kinder Abschied nehmen und eine schwimmende Insel eingefangen wird
Zum Nachmittagstee wurden alle Kinder geweckt und kamen zum Kaiser und den beiden Freunden auf die Terrasse heraus. Dann aßen alle gemeinsam. Als sie fertig waren, gingen sie hinunter auf den Platz vor dem Palast. Dort standen jetzt in einer langen Reihe viele zierliche mandalanische Kutschen mit kleinen weißen Pferdchen davor. Die Wägelchen waren bunt bemalt und hatten seidene Baldachine, zum Schutz gegen die Sonne. Das erste war besonders prächtig, darin nahm der Kaiser mit seiner Tochter Platz. Die Kinder verteilten sich in den anderen Kutschen, immer zwei oder drei in einer. Natürlich durften sie selber lenken. Lukas und Jim wollten lieber mit Emma fahren.
Der Zug setzte sich in Bewegung, an der Spitze der Kaiser mit Li Si und am Schluß Emma mit den beiden Freunden. Unter brausenden Hochrufen des Volkes ging es aus der Stadt hinaus, immer auf der geraden Straße, auf der Jim und Lukas einmal gekommen waren. So gelangten sie schließlich gegen Abend zur Mündung des Gelben Flusses, wo der Seehafen lag. An der Mole lagen zwei große Segelschiffe. Matrosen kletterten in der Takelage herum, und andere zogen mit »Ho ruck! Hoooo ruck!« riesige Segel in die Höhe. Eines der beiden Schiffe war schon fast fertig zur Abfahrt
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