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Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer

Titel: Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Ende
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aus, der wie ein Entsetzensschrei klang, und zugleich machte sie ganz von selbst kehrt und raste wie verrückt davon.
    Lukas griff nach der Bremse und brachte Emma zum Stehen. Sie hielt zitternd und schnaufte, stoßweise keuchend. »Nanu, Emma!« rief Lukas. »Was sind denn das für neumodische Sitten?«
    Jim wollte etwas sagen, als er zufällig nach hinten hinausblickte, und da blieb ihm das Wort im Halse stecken.
    »Da!« konnte er nur noch flüstern.
    Lukas fuhr herum. Und was er nun draußen sah, das übertraf einfach alles, was ihm jemals vor Augen gekommen war. Am Horizont stand ein Riese von so ungeheurer Größe, daß selbst das himmelhohe Gebirge »Die Krone der Welt« neben ihm wie ein Haufen Streichholzschachteln gewirkt hätte. Offenbar war er ein sehr alter Riese, denn er hatte einen langen weißen Bart, der ihm bis auf die Knie herabhing und merkwürdigerweise zu einem dicken Zopf geflochten war. Wahrscheinlich, weil es auf diese Weise einfacher war, den Bart in Ordnung zu halten. Man kann sich ja vorstellen, wie mühsam es sein muß, einen solchen Urwald jeden Tag zu kämmen! Auf dem Kopf trug der Riese einen alten Strohhut. Wo in aller Welt mochte es nur so riesige Strohhalme geben? Der gewaltige Leib steckte in einem alten, langen Hemd, das freilich größer war als die allergrößten Schiffssegel.
    »Oh!« stieß Jim hervor, »das ist keine Fata! Schnell fort, Lukas! Vielleicht hat er uns noch nicht gesehen.«
    »Immer mit der Ruhe!« erwiderte Lukas und paffte kleine Wölkchen. Dabei beobachtete er den Riesen scharf. »Ich finde«, stellte er fest, »außer seiner Größe sieht der Riese ganz manierlich aus.«
    »W … w … was?« stotterte Jim entsetzt.
    »Nun ja«, meinte Lukas ruhig, »bloß weil er so groß ist, braucht er doch noch lange kein Ungeheuer zu sein.«
    »Ja, aber … «, stammelte Jim, »wenn er aber doch eins is’?« Jetzt streckte der Riese sehnsüchtig die Hand aus. Dann ließ er sie hoffnungslos wieder sinken, und ein tiefer Seufzer schien seine Brust zu heben. Zu hören war allerdings seltsamerweise nichts. Es blieb ganz still.
    »Wenn er uns was tun wollte«, sagte Lukas, die Pfeife zwischen den Zähnen, »dann hätte er das längst gekonnt. Er scheint gutartig zu sein. Möchte bloß wissen, warum er nicht näher kommt. Ob er sich am Ende vor uns fürchtet?«
    »Oh, Lukas!« stöhnte Jim, dem vor Angst die Zähne zu klappern anfingen, »jetzt is’ es aus mit uns!«
    »Glaub’ ich nicht«, erwiderte Lukas. »Vielleicht kann uns der Riese sogar sagen, wie wir aus der verflixten Wüste herauskommen!«
    Jim verschlug es die Rede. Er wußte nicht mehr, was er denken sollte.
    Plötzlich hob der Riese beide Hände, faltete sie und rief mit einem ganz dünnen armseligen Stimmchen:
    »Bitte, bitte, ihr Fremden, lauft nicht fort! Ich will euch gewiß nichts tun!«
    Bei seiner Größe hätte die Stimme eigentlich wie ein Donnerwetter klingen müssen. Das war aber keineswegs der Fall. Was konnte das für einen Grund haben?
    »Mir scheint«, brummte Lukas, »das ist ein ganz harmlose r Riese. Er kommt mir sogar sehr nett vor. Nur mit seiner Stimme ist irgendwas nicht in Ordnung.«
    »Vielleicht verstellt er sich!« rief Jim voller Angst. »Er will uns wahrscheinlich fangen und einkochen. Ich hab’ mal von so einem Riesen gehört. Bestimmt, Lukas!«
    »Du traust ihm nicht, bloß, weil er so mächtig groß ist« , antwortete Lukas. »Aber das ist kein Grund. Dafür kann er schließlich nichts.«
    Jetzt ließ sich der Riese am Horizont auf die Knie nieder und rief mit flehentlich gefalteten Händen:
    »Ach bitte, bitte, glaubt mir doch! Ich will euch nichts tun, ich will nur mit euch reden. Ich bin so allein, so schrecklich allein!« Wieder klang die Stimme seltsam kläglich und dünn. »Der arme Kerl kann einem ja leid tun«, sagte Lukas. »Ich werd’ ihm mal winken, damit er merkt, daß wir nichts Böses im Sinn haben.«
    Mit Entsetzen beobachtete Jim, wie Lukas sich aus dem Fenster beugte, höflich die Mütze zog und mit seinem Taschentuch winkte. Jetzt würde das Unheil gleich über sie hereinbrechen! Der Riese erhob sich langsam. Er schien unschlüssig und ganz verwirrt.
    »Heißt das«, rief er mit seinem dürftigen Stimmchen, »ich darf näher treten?«
    »Jawohl!« schrie Lukas durch die hohle Hand und winkte freundlich mit dem Taschentuch.
    Der Riese machte vorsichtig einen Schritt auf die Lokomotive zu. Dann hielt er inne und wartete. »Er glaubt uns nicht«, knurrte

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