Joanna Bourne
rasselnd im Türschloss herum. Er hatte es sehr eilig, dieser Henri. War der Franzose durch Anniques kleine Vorstellung auch nur halb so erregt wie Grey, wäre es ein Wunder gewesen, wenn er die Tür überhaupt aufbekam.
Die Tür knallte gegen die Steinwand. »Ohne Leblancs Erlaubnis darfst du hier nicht rein, Henri«, warnte sie leise und ohne sich von der Stelle zu rühren, »oder mich anfassen.«
»Zur Hölle mit Leblanc.« Henri stellte die Laterne geräuschvoll ab und drängte sie an den Tisch. Seine Hand verschwand hektisch unter ihrem Rock und zog ihn hoch. Er ergriff das weiße Unterhemd.
»Du solltest mich lieber … hör auf … « Sie wehrte sich, versuchte vergeblich, von ihm loszukommen und war dabei doch kaum stärker als ein gefangenes Vögelchen.
»Nein.« Er warf sich auf Henri, wurde jedoch jäh von seiner eisernen Leine zurückgerissen. Sein schmerzendes Handgelenk rief ihn auf den Boden der Tatsachen zurück. Er konnte nicht nah genug an sie heran, um an ihrer Stelle mit Henri zu ringen. Ihm blieb verdammt noch mal nur die Rolle des Zuschauers.
»Lass … « Ihr wild fuchtelnder Arm traf die Laterne. Sie kippte, fiel vom Tisch und krachte scheppernd zu Boden. Das Licht erlosch. Sofort war es stockdunkel.
»Dumme Hure«, stieß Henri hervor. »Du … «
Es gab einen kurzen dumpfen Schlag. Henri schrie vor Schmerz auf. Weitere Schläge folgten – eins, zwei, drei.
Der Tisch rutschte polternd zur Seite. Etwas Großes fiel dumpf zu Boden.
Nichts regte sich mehr. Er hörte Anniques schweren Atem, erkannte sie an den kurzen Zügen und der keuchenden Altstimme.
Geplant. Sie hatte alles geplant.
Bis zum Zerreißen angespannt hockte er da, während ihm klar wurde, wie sehr sie ihn an der Nase herumgeführt hatte. Sie hatte sich alles von Anfang bis Ende genau zurechtgelegt. Und sie beide mit ihrer hübschen kleinen Vorstellung manipuliert.
Längere Zeit war nichts zu hören, nur hier und da ein leises Rascheln und Anniques Stöhnen. Dann näherte sie sich ihm so zielstrebig und festen Schrittes, als sei diese Zelle alles andere als dunkel wie ein Grab.
»Was habt Ihr Henri angetan?« Eigentlich hatte er da gar keine Zweifel.
»Ich habe ihm eine Socke voller Steine auf den Kopf gehauen.« Sie schien das Ganze Revue passieren zu lassen, als sie sich neben ihm niederließ. »Zumindest glaube ich, dass ich ihn einmal am Kopf getroffen habe. Ich habe ihn an verschiedenen Stellen erwischt. Wie auch immer, jetzt gibt er Ruhe.«
»Ist er tot?«
»Er atmet noch, aber bei Kopfwunden kann man nie wissen. Eventuell werde ich dem Schöpfer noch eine komplizierte Geschichte zu erklären haben, wenn ich an seine Tür trete, was, nach Lage der Dinge, jederzeit der Fall sein kann. Ich hoffe, ich habe ihn nicht ins Jenseits befördert, obwohl er es zweifellos verdient hätte. Soll es jemand anders für mich tun, irgendwann einmal. Es gibt viele, die nur darauf warten. Da fallen mir gleich ein paar Dutzend Leute ein.«
Sie verwirrte ihn. Da war diese Skrupellosigkeit, die aller Härte zum Trotz von einer Unbekümmertheit zeugte, die so rein wie frischer Wind war. Er konnte einfach nicht die Grausamkeit erkennen, mit der man Menschen kaltblütig und aus dem Hinterhalt tötete. Daher musste er sich ständig daran erinnern, wer sie eigentlich war. »Ihr habt ihm doch nicht nur eins übergebraten. Was kam danach?«
»Ihr wollt einen vollständigen Bericht?« Sie klang amüsiert. »Ihr seid wohl doch ein Spion, Engländer. Niemand sonst stellt solche Fragen auf derart ruhige Weise, als habe er das Recht dazu. Na schön, dann will ich Euch die ganze Geschichte erzählen – dass ich Henri gefesselt und mir sein Geld angeeignet habe. Er hatte auch ein interessantes Bündel Papiere in seiner bislang für sicher gehaltenen Geheimtasche. Ihr könnt sie haben, wenn Ihr mögt. Was mich betrifft, mit dem Beschaffen geheimer Dokumente habe ich nichts mehr zu tun.«
Sie stupste ihn leicht an. »Außerdem habe ich diese überaus praktische Krawattennadel gefunden; wenn Ihr also bitte mal Euer hübsches Armband hochhalten würdet. Ja, genau so. Und jetzt haltet still. Schließlich bin ich keine Fischhändlerin, die dieses dumme Schloss auseinandernehmen könnte, während Ihr herumzappelt. Ich werde es noch bedauern, dass ich so nett bin und Euch das Leben rette, wenn Ihr Euch so unvernünftig benehmt.«
»Stets zu Euren Diensten.« Er hielt ihr das gefesselte Handgelenk hin. Gleichzeitig legte er die andere Hand an ihre
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