Jodeln und Juwelen
auch
nicht. Jedenfalls keine stechenden.«
»Freut mich zu hören«, hatte Emma
erwidert. »Wenn mich etwas sticht, schwillt die Stelle immer sofort an und
juckt wie verrückt. Wie steht es mit Büchern? Gibt es eine Bibliothek oder etwas
Ähnliches auf der Insel?«
»Aber selbstverständlich, meine Liebe.
Wie könnte es anders sein, bei so vielen Schriftstellern? Sie finden bestimmt
genügend Lesestoff, keine Angst. Außerdem gibt es einen Plattenspieler, jedes
Schlafzimmer verfügt über ein Radio, und einen Fernsehapparat haben wir auch.
Es gibt sogar ein Klavier, falls Sie Ihre Noten mitnehmen wollen. Vincent sorgt
dafür, dass es gestimmt ist.«
Vincent sorgte anscheinend für alles.
So war es bisher immer gewesen. Emma brauchte sich um gar nichts zu kümmern,
Vincent würde wissen, was zu tun war. Vincent wusste einfach alles.
Ganz so einfach war es bestimmt nicht.
Emma war sich in diesem Punkt ziemlich sicher. Nachdem Adelaide die
Verantwortung für ihre Insel los war, nahm sie das Privileg älterer Leute für
sich in Anspruch und begann, in der Vergangenheit zu schwelgen. Sie schwärmte
von den wundervollen Sommern, die sie hätte genießen können, wenn das Leben ihr
nicht jedes Mal einen Strich durch die Rechnung gemacht hätte. Fatalerweise war
immer irgend ein Künstler mit einer tyrannischen Mutter oder einer nörgelnden
jungen Geliebten aufgekreuzt. Oder mit einem brüllenden Baby, das ihm die
rachsüchtige Ex-Gattin in letzter Minute aufgehalst hatte, mit der konkreten
Absicht, seine Kreativität bereits im Keim zu ersticken. In der einen Gruppe
war ein Trunkenbold oder ein Drogensüchtiger gewesen, in der anderen jemand,
der ausgerechnet beim ersten Donnerschlag eines schweren Sturms alle Symptome
einer akuten Blinddarmentzündung zeigte und unter unvorstellbaren
Schwierigkeiten sofort zum Festland transportiert werden musste. Oder jemand
reagierte allergisch auf alles, was Vincents Freund kochte, bis besagter Freund
schließlich entnervt das Küchenhandtuch warf.
Während des Flugs von Massachusetts
nach Maine malte sich Emma zum Zeitvertreib in leuchtenden Farben aus, was
alles schief gehen konnte, und überlegte sich interessante
Bewältigungsstrategien. Es hatte sich bewährt, stets mit dem Schlimmsten zu
rechnen, dann konnte man wenigstens angenehm überrascht sein, wenn die
Katastrophen ausblieben.
Den Großteil ihres Gepäcks hatte sie
bereits vorausgeschickt. Außer der Tasche aus Gobelinstoff, in der sich ihr
Portemonnaie, ihre Schlüssel und ihre Kosmetika befanden, dazu eine
Ersatzperücke, eine Garnitur saubere Unterwäsche für alle Fälle und ein Foto
ihres verstorbenen Gatten in voller Feuerwehrmontur, das sie immer bei sich
trug, hatte sie im Flugzeug nur eine arg mitgenommene Reisetasche dabei, in
deren Tiefen die Krone und der Schmuck der Feenkönigin ruhten.
Eigentlich war Emma für den Schmuck gar
nicht mehr zuständig, denn sie hatte inzwischen Parker III und Jenicot
Tippleton offiziell die Leitung der Piraten von Pleasaunce übertragen. Die
Piraten hatten beschlossen, während der nächsten Saison Iolanthe aufzuführen,
mit Parker als Strephon und Jenicot als Phyllis. Eine Sängerin, die Emma
Kelling als Feenkönigin ersetzen konnte, musste allerdings noch gefunden
werden.
Man bat sie zwar ständig, wenigstens
dieses eine Mal noch die Rolle zu übernehmen, doch Emma blieb hart. Ihre Stimme
war erschöpft, ihre Bühnenzeit war abgelaufen. Doch wie ein altes
Feuerwehrpferd beim vertrauten Klang der Brandsirene, verspürte sie immer noch
unbändige Lust, wenigstens nebenher zu galoppieren. Hinter der Bühne gab es
unzählige kleine Arbeiten, die sie besser erledigen konnte als jeder andere,
und dazu gehörte auch das Ausbessern des Schmucks.
Sie hatte ihn damals bei Woolworth
erstanden, als Glanz und Glamour noch groß in Mode waren und kitschiger
Glasschmuck beliebt und preiswert. Seitdem hatten sie ihn für viele
Aufführungen gebraucht. Inzwischen waren die Fassungen etlicher Stücke verbogen
oder verschmutzt, und einige Steine waren trüb oder fehlten gar. Die Armbänder,
Halsketten, Stimreife und Broschen waren zwar völlig wertlos, doch bei den
heutigen Preisen war es ziemlich aufwendig, sie zu ersetzen, wenn man überhaupt
vergleichbare Schmuckstücke fand.
Emma hatte die ramponierte Sammlung vom
Speicher geholt, die einzelnen Stücke kopfschüttelnd näher untersucht und war
auf der Stelle in ein Bastelgeschäft gegangen. Dort hatte sie Klebstoff,
Silberfarbe, eine
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