Jodeln und Juwelen
ein winziges Stück Erdbeertörtchen auf. »Ehrlich gesagt ist es mir
ziemlich egal, Emma. Ich rede mir zwar das Gegenteil ein, weil Pocapuk Island
seit vielen Jahren zu meinem Leben gehört. Aber die Fahrt dorthin ist lang und
anstrengend, und wenn man erst einmal dort ist, hat man eine Menge Arbeit. Hier
kümmert sich Marcia rührend um mich, und es ist so angenehm, Freunde wie Sie in
der Nähe zu wissen, dass es mir nichts ausmacht, hier zu bleiben. Doch meine
Abwesenheit wird auf der Insel für ziemlich viele Probleme sorgen, und ich weiß
noch nicht, was ich tun soll. Sie haben von den Cottages gehört, nehme ich an?«
»Aber sicher. Bed und ich haben vor
vielen Jahren sogar einmal in einem der Häuschen übernachtet, als wir die Küste
von Maine erkundet haben. Sie können sich bestimmt nicht mehr daran erinnern,
Sie hatten ja im Laufe der Jahre Hunderte von Gästen dort. Haben Sie für diesen
Sommer schon jemanden eingeladen?«
»Leider ja. Aber wahrscheinlich kennen
Sie keinen von ihnen. Ich habe die meisten selbst noch nie getroffen. George
und ich sind im Laufe der Jahre dazu übergegangen, Künstlern unsere Cottages
als Sommerateliers zur Verfügung zu stellen. Wir haben sie immer unsere ›Genies‹
genannt. Maler, Schriftsteller, Leute, die ein ruhiges Refugium brauchen, um zu
arbeiten, und selbst keine finanziellen Ressourcen besitzen.«
Das war sehr ladylike ausgedrückt. Emma
hatte von den armen Schluckern der Sabines gehört. »Einige Ihrer Protegés sind
inzwischen erfolgreiche Künstler geworden, soweit ich weiß.«
»Viele von ihnen hatten schon damals
sehr gute Arbeiten vorzuweisen«, erwiderte Mrs. Sabine ein wenig spitz.
»Außerdem waren unsere Gäste immer recht interessant. Einige mehr, andere
weniger, wie ich zugeben muss. Aber im Großen und Ganzen hat es uns viel
gegeben. Und man braucht sie nicht zum Kommen zu überreden. In den letzten
Jahren, besonders seit Georges Tod, wird es nämlich zunehmend schwieriger,
Feriengäste zu finden. Auf der Insel kann es einem allein schnell langweilig
werden, wenn man nicht gerade ein Einsiedler ist, was ich keineswegs bin. Und
das Leben ist heute auch nicht mehr so wie früher, aber das brauche ich Ihnen
ja sicher nicht zu erzählen. Alte Freunde sterben oder werden zu hoffnungslosen
Pflegefällen wie ich. Und die jungen Leute haben Interessanteres zu tun als
ihre Zeit damit zu verplempern, einer alten Frau zuzuhören, die im
Schaukelstuhl sitzt und ihnen etwas vorschnarcht oder ständig von den guten
alten Zeiten schwatzt.«
»Sie sprechen mir aus der Seele«,
murmelte Emma.
»Unsinn! Sie wissen gar nicht, wovon
ich rede. Dazu müssen Sie erst noch zehn Jahre älter werden. Jedenfalls lief es
darauf hinaus, dass die Insel in den letzten Jahren fast nur von mir und den
Künstlern bewohnt wurde. Einer erzählt es dem anderen, wissen Sie, und dann
bekommt man plötzlich ein Empfehlungsschreiben und kann schlecht Nein sagen. In
diesem Jahr hat ein Freund von Parker oder vielmehr ein Freund eines Freundes
mir einen russischen Dichter empfohlen. Er klingt recht sympathisch, wenn auch
ein klein wenig düster. Dann hat sich ein gewisser Professor Wont an mich
gewandt. Er und eine Gruppe anderer Künstler hofften, den Sommer auf der Insel
verbringen zu dürfen, um an einem gemeinsamen Projekt zu arbeiten, irgendetwas
Historisches, soweit ich verstanden habe. Es klang leider alles ein wenig vage.
Er hat versprochen, mir den organisatorischen Teil abzunehmen. Daher habe ich
ihm freie Hand bei der Belegung der Cottages gelassen und mir eingeredet, ich
würde schon da sein und mich um sie kümmern. Was daraus geworden ist, sehen Sie
ja selbst. Eigentlich müsste ich schon längst in meinem Haus auf der Insel sein
und alles vorbereiten. Stattdessen hocke ich hier herum.«
»Können die Leute denn nicht ohne Sie
zurechtkommen?«
»Das ist auf Pocapuk gar nicht so
einfach. In den Cottages gibt es keine Kochgelegenheit. Bisher haben wir es
immer so gehalten, dass unsere Gäste irgendwann zwischen halb acht und halb
zehn zum Frühstücksbuffet ins Haus kamen und sich bei der Gelegenheit ein
Lunchpaket mitnahmen, wenn sie Lust dazu hatten. Gegen sechs bekamen sie dann
von uns im Haus ein frühes Abendessen und ein paar Drinks. George und ich
hielten es für angebracht, dass die Gäste für ihr Nachtmahl auch ein wenig
fleißig sein mussten«, Mrs. Sabine lachte verhalten, »außerdem schienen sie
Gefallen an unserer Gesellschaft zu finden. Daher habe ich diese
Weitere Kostenlose Bücher