Jodeln und Juwelen
nicht
einfach eine Insel, sondern eine Schatzinsel. Wie Emma gleich vom Taxifahrer
auf der Fahrt zur Fähre erzählt bekommt, hat die Insel Pocapuk ihren Namen von
einem gleichnamigen Piraten, einem Mitarbeiter oder Zeitgenossen Captain Kidds
oder des legendären Blackbeard. Er soll auf ihr den Inhalt einer kompletten
spanischen Schatzgaleone vergraben haben, und bis die Sabines die Insel kauften
und auf ihr ihr Sommerhaus errichteten, war es eine in Maine beliebte
Freizeitbeschäftigung, die Insel bei der Schatzsuche um- und umzugraben. Diese
Tradition will Dr. Wont wiederbeleben; die Seherin soll den Schatz erahnen, die
beiden Künstler sollen die Suche zeichnerisch begleiten, der Schriftsteller
soll das Abenteuer fiktional festhalten und Dr. Wont selber es historisch
dokumentieren. Dass Adelaide Sabine von all dem nichts weiß oder nur ahnt,
versteht sich von selber.
Auf der Schatzinsel überschlagen sich
dann die Ereignisse. Die Tasche mit dem Talmischmuck verschwindet erneut, dafür
taucht ein Unbekannter wortwörtlich auf, um ebenfalls sogleich wieder zu
verschwinden, bis beide gemeinsam wiedergefunden werden. Die Seherin erkrankt
unter rätselhaften Umständen, ein Mord wird als Unfall getarnt, und
verantwortlich kann nur einer der offiziell auf der Insel Weilenden sein,
schließlich wurde das kleine Eiland mehrfach nach ungebetenen Gästen abgesucht:
Zum Schatzinsel-Syndrom tritt der Krimi-Topos von der hermetisch
abgeschlossenen Insel, die wegen eines Sturms auch die Polizei zunächst nicht
betreten kann.
So wird Emma Kelling zwangsläufig zur
Zufalls-Detektivin, denn ihre inzwischen zu veritablen Privatdetektiven
herangereiften Cousins Max und Sarah Kelling Bittersohn können ihr nicht zu
Hilfe kommen. Max ist mit einem komplizierten Beinbruch und diversen
gebrochenen Rippen bettlägrig, Sarah pflegt ihn, und Vetter Brooks muss die
Außenarbeit erledigen. Emma arbeitet dabei mit dem Verfahren, das auch MacLeods
Seriendetektive — neben den Bittersohns Professor Shandy in der Balaclava-Serie
(»Schlaf in himmlischer Ruh’«, DuMonts Kriminal-Bibliothek Bd. 1001 und viele
folgende Bände) immer anwenden: Blitzschnell entwickelt sie in jeder fraglichen
Situation die abenteuerlichsten Hypothesen, getreu der Devise, dass niemandem
zu trauen und prinzipiell jedem alles zuzutrauen ist. Motiviert ist sie dabei
durch ihren gekränkten Stolz — sie sieht im Verhalten des unbekannten Täters
oder der Täterin in erster Linie eine Herausforderung: Niemand tut einer Emma
Beddoes Kelling ungestraft etwas in den Kaffee, um ihr dann eine noch so
ramponierte Tasche mit egal wie wertlosem Schmuck zu stehlen!
Prinzipiell und jedem zu misstrauen — das
gilt ganz besonders bei diesem bunten Käfig voller fragwürdiger Existenzen. Wer
von ihnen ist überhaupt das, was er zu sein vorgibt? Bis Sarah und Max in
Boston recherchieren können, gilt nur das, was die Leute selber von sich
behaupten, Emma misstraut dabei nicht nur amerikanischen Hellseherinnen und
russischen Grafen, sondern schlechthin jedem, sogar dem bodenständigen Faktotum
der Sabines: Zu perfekt ist dieser in allen Rollen vom amtierenden Inseloberhaupt
über den Hausmeister bis zum Butler, als dass er nicht eher ein
Bediensteten-Darsteller als ein echter Diener sein könnte — er ist zu gut, um
wahr zu sein.
Hier kommen Emma ihre langjährigen
Erfahrungen auf der Laienbühne in Pleasaunce zustatten — sie weiß, wen, wie und
was man alles spielen kann. Und die Bittersohns schicken ihr eine echte
Assistentin — eine weitere angeheiratete Cousine. Sie hatte einst als
Wahrsagerin aus der Teetasse die Serie betreten (»Madam Wilkins’ Palazzo«,
DuMonts Kriminal-Bibliothek Bd. 1035) und dabei das Herz des Junggesellen,
Hobby-Ornithologen und ärmeren Kelling Brooks erobert. Wenn Emma aufgrund ihrer
Schauspielkünste jeden überführen kann, der ihr etwas vorgaukeln will, ist
Theonia mit parapsychologischen Phänomenen jeglicher Provenienz bestens
vertraut.
Bei aller Outriertheit von Setting und
Plot, für die Charlotte MacLeod inzwischen fast weltweit berühmt ist, ist die
Lösung orthodox: Sie fällt Emma Kelling aufgrund eines klassischen Clues
plötzlich zu, als alle Beteiligen auf der Veranda versammelt sind. Nach dem
physischen Showdown einer genretypischen Verbrecherjagd wiederholt sie diese
Lösung dann noch einmal vor der Polizei und allen Beteiligten, wie es schon
hundert Jahre zuvor Sherlock Holmes liebte.
Danach wird sie dann endlich —
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