Joe Golem und die versunkene Stadt
Ziegelmauer, aber nur mit dem Geländer. Die Plattform blieb verankert, die Treppe jedoch neigte sich zum Wasser hinunter.
Cocteau griff nach Molly, und sie sah die Verzweiflung in seinen Augen. Doch er hatte nur eine Hand frei, sie hingegen beide. Sie schlug seinen Arm beiseite und griff an, schlug so hart und schnell auf ihn ein, dass er sich verteidigen musste, wenn er nicht riskieren wollte, das Pentajulum zu verlieren. Er kreischte sie an und stieß einen Schwall schmutziger Beschimpfungen hervor, doch Molly beachtete ihn nicht. Sie traf ihn an Kehle, Schläfen und Brust, bis er zurückschlug und sie mit solcher Gewalt von sich stieß, dass sie gegen das Geländer prallte und ihr die Luft aus der Lunge gepresst wurde.
Als Molly keuchend auf der Plattform zusammenbrach, das Herz heftig pochend vor Angst und Wut, spürte sie, wie die Feuertreppe erneut ein Stück nach vorn kippte. Sie schaute hoch und sah Joe – Joe den Golem –, der vor dem knienden Dr. Cocteau stand. Wasser rann ihm vom steinernen Körper, tropfte von Rissen und scharfen Kanten. Seine Augen leuchteten vor Zorn und wacher Intelligenz. Er streckte die Hand nach dem Pentajulum aus.
Dr. Cocteau fiel nach hinten auf die Metallstufen und versuchte sich wieder nach oben zu ziehen. Angesichts dieses solidesten aller Hindernisse waren seine kosmischen Ambitionen vergessen.
»Nein!«, brüllte er. »Das gehört mir! Es war immer mir bestimmt …«
Joe entriss ihm mit einer schnellen Drehung das Pentajulum. Einen Augenblick hörte die Stadt auf zu beben, und weil Felix schwieg, hörte Molly, wie Cocteaus Finger brachen, obwohl in unmittelbarer Nähe der Fluss toste. Der Irre schrie vor Schmerz und drückte sich die geschundene Hand an die Brust.
Joe wandte sich von Cocteau ab und hielt das Pentajulum in die Höhe. Schweigen schien sich über die Stadt zu legen. Molly war sich sicher, dass nicht nur das Geschöpf, zu dem Felix geworden war, sondern auch die uralte Präsenz, die über ihnen hing, innehielt, um zu sehen, was der Golem tun würde. Das Pentajulum strahlte hell, und die unendlichen Farben warfen helle Schatten auf die Ziegelmauer, die Feuerleiter und die weißen Spitzen der reißenden Strömung.
Dann zerdrückte Joe das Pentajulum in seiner Hand. Es erlosch, als es zerbröckelte, als hätte es nicht mehr Substanz als eine Eierschale.
Die ganze Stadt verschob sich. Es war ein massiver, doch kurzzeitiger Stoß, der Molly gegen das Geländer schleuderte. Eine Hälfte der Feuertreppenplattform löste sich vom Gebäude, schwang nach außen und kippte unter dem eigenen Gewicht. Molly schrie auf, als sie fiel – doch Joe war da, so wie er immer da gewesen war, von dem Moment an, als sie ihn zum ersten Mal gesehen hatte. Er fing sie mit einer Hand auf, indem er ihr Gelenk packte, während er sich mit der anderen Hand an der nächsthöheren Plattform der Feuertreppe festhielt.
Gebäude wiegten sich wie Halme im Wind. Die Überreste der Kirche auf der anderen Seite zerfielen und versanken im Wasser. In derFerne stürzte ein weiteres Bürohochhaus wie ein gefällter Baum in ein kleineres Nachbargebäude. Molly schloss die Augen.
Dann fühlte sie, wie sie angehoben wurde.
»Kletter«, sagte Joe. Ein Wort, nur eines.
Molly schlug die Augen auf. Alle Gedanken daran, wie viele Menschenleben heute zu Ende gegangen waren, schob sie resolut beiseite. Sie hielt sich an Joes Hals fest, als wollte sie ihn umarmen. Der Stein und die Erde seines Körpers waren rau, aber sie kletterte an ihm hoch, als wäre er ein Bauwerk unter vielen in der ausgedehnten Stadt, an dem sie sich festklammerte, um am Leben zu bleiben.
Als sie an der nächsten Plattform der Feuertreppe Halt fand, zog sie sich hinauf und kletterte über das Geländer. Joe folgte ihr. Er zog sich mit einer Kraft hoch, die kein Mensch je hätte aufbringen können. Erst als Joe neben ihr stand, hörte Molly das leise Wimmern auf den Stufen unter ihnen. Sie entdeckte Cocteau, der noch immer seine zerquetschte Hand hielt. Kopfschüttelnd greinte und murmelte er vor sich hin.
Und wieder erbebte die Welt.
»Festhalten!«, rief Molly und packte Joes Arm.
Dann hörte es wieder auf, so rasch, wie es begonnen hatte. Molly stand da und hielt sich an Joe fest. Sie hatte keine Lust, ihn wieder loszulassen. Joe schien es nicht zu bemerken; sein Blick schweifte in die Ferne. Molly benötigte einen Moment, bis sie bemerkte, dass er nicht in Katatonie versunken war, sondern auf die Kreuzung
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