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Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
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ihn am Boden des Beckens hielten. Doch wer immer ihn gefangen genommen hatte   – es war diesem Jemand wichtig, dass Felix Luft bekam.
    Erneut betastete er die Fesseln, die um seine Hände lagen. Er konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, welche Art Gewebe oder Seil seine Handgelenke umschloss, aber er spürte, dass die Fessel ein klein wenig Spiel hatte. Sie saß nicht lose, doch sie gab nach. Mit genügend Zeit und Sauerstoff konnte er darauf aufbauen.
    Als Felix an seinen Fesseln zu arbeiten begann und darüber das Wasser im Aquarium und die See hinter den Fenstern vergaß, fraß sich ein Wurm der Übelkeit durch seine Eingeweide. Es beunruhigte ihn so sehr, dass er in seinen Anstrengungen innehielt und sich um gleichmäßiges Atmen bemühen musste. Felix schluckte. Seine Kehle war trocken geworden, und ein heftiger Juckreiz machte ihm zu schaffen. Das Jucken hatte auf seinen Schultern und den Oberarmen begonnen und war dann zum Nacken vorgedrungen. Auch seine Beine juckten. Mit den Absätzen seiner Schuhe kratzte er sich an den Hosenbeinen, was ein wenig Erleichterung brachte, doch dann breitete sich das Jucken auch auf seine Unterarme und vom Nacken auf die Kopfhaut aus. Es war beinahe so, als würden Ameisen auf ihm herumkriechen. Felix schüttelte den Kopf und spähte ins Wasser. Doch er wusste, dass dort keine Insekten waren   … nur das Jucken.
    Er verdrehte und wand sich, versuchte sich mit dem Kinn an den Schultern zu kratzen. Nach ein paar Sekunden ließ das Jucken ein wenig nach, aber es blieb dennoch als ein Prickeln unter der Haut. Der Drang sich zu kratzen, raubte Felix schier den Verstand. Er bebte am ganzen Körper.
    Dann zuckte er zusammen, als das Eis zurückkehrte, das vorhin durch seine Adern geronnen war. Zuerst dachte er, jemand oder etwas sei zu ihm ins Wasser gestiegen, doch nachdem er ein paar Sekunden in die Trübnis gespäht hatte, im Schein der verschwommenen Lichter hinter dem Glas, die das Dunkel kaum erhellten, stellte er fest, dass er noch immer allein im Becken war.
    Dennoch spürte er die dunkle Last der Aufmerksamkeit eines Fremden auf sich.
    Irgendeine Präsenz war im Raum erschienen, ein Bewusstsein.

    Einen Augenblick lang glaubte Felix, er wäre wieder zum Fokus der Toten geworden. Sehr oft schon hatten sie ihn ausersehen, ihre Botschaften zu überbringen, ihr Gefäß zu sein. Doch er hatte in den Jahrzehnten, die er nun schon als Medium tätig war, die Geister Hunderter Verstorbener berührt   – vielleicht sogar Tausender   –, und er wusste, wie es sich anfühlte, wenn ein Geist in der Nähe war. Egal, welche Präsenz den Raum betreten hatte, welches Bewusstsein ihn beobachtete   – Felix erkannte es als nicht menschlich.
    Was bist du? , dachte er.
    Wieder zuckte sein ganzer Körper. Das Jucken kehrte zurück. Schwärmeweise krochen ihm kleine Tiere über die Haut, und er schrie in seine Atemmaske. Seine Eingeweide wogten und zuckten unter einem Anfall von Übelkeit, und er nahm kurze, rasche Atemzüge und versuchte, sich nicht in die Maske zu erbrechen.
    Er spürte die Präsenz bei sich im Aquarium, wie sie ihn studierte, und er musste sich schütteln. Tränen quollen ihm aus den Augenwinkeln.
    Was bist du? , flehte er und wünschte sich mit einem Mal, er wäre ein Gespenst.
    Die Präsenz zog sich ein wenig zurück, ähnlich wie das Jucken. Sie hinterließ ein Prickeln im Hintergrund von Felix’ Bewusstsein und das Wissen, dass sie jeden Moment zurückkehren konnte. Felix versuchte, den Rhythmus seines Atems wiederzufinden. Mehr denn je musste er raus aus diesem Becken und wieder normale Luft atmen. Seine Finger begannen an seinen Fesseln zu arbeiten.
    Nach einem Augenblick erstarrte er, gelähmt von der Erkenntnis, dass ihm die Sauerstoffmaske vom Gesicht gerutscht war.
    Aber er atmete immer noch.
    Er brauchte die Maske nicht mehr   …
    Was bin ich? , schoss es ihm durch den Kopf.
    Und dann wusste er, dass ein Fluchtversuch sinnlos war. Wohin sollte er gehen? Er veränderte sich, und die Welt, die er sein Leben lang durchquert hatte, würde ihn nicht mehr willkommen heißen. Er spürte, dass außerhalb des Aquariums etwas auf ihn wartete   – der kalte Tod, der schon so lange in den Schatten lauerte.
    Felix Orlov begriff, dass kein Kartenspielertrick ihm jetzt noch helfen könnte. Keine noch so große Bühnendarbietung würde dieses Publikum bezaubern.
    Welche Magie auch immer von ihm erwartet wurde, Orlov der Beschwörer hatte seine letzte Selbstbefreiung

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