Joe Golem und die versunkene Stadt
aufgeführt.
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Kapitel 8
J oe steuerte das Kajütboot mit Kurs auf Brooklyn durch die überfluteten Ruinen von Lower Manhattan. Er hatte das Boot vor sieben Jahren als Belohnung von dem ursprünglichen Eigentümer erhalten, einem Architekten aus Uptown, dessen Sohn sich mit einer Bande eingelassen hatte, die in der Versunkenen Stadt mit Rauschgift handelte. Jemand hatte eine Ladung Heroin gestohlen, und die Bande verdächtigte den Architektensohn. Indem Joe die wirklichen Diebe fand, rettete er dem Jungen das Leben und schleifte ihn zurück zu seinem Daddy in Uptown.
Das Kajütboot hatte der Junge zu seinem achtzehnten Geburtstag geschenkt bekommen. Der Architekt hatte nicht nur Joe für seine Dienste bezahlt, sondern seinem Sohn darüber hinaus das Boot abgenommen und dem Mann geschenkt, der seinem Jungen das Leben gerettet hatte. Normalerweise hätte Joe es abgelehnt, aber der Architektensohn war ein solch frecher, verwöhnter Schnösel gewesen, dass Joe sehr gern dazu beigetragen hatte, ihm eine Lektion zu erteilen.
Mr. Church hatte ihm geholfen, ein Gebäude mit einem überfluteten Innenhof zu finden. Die Fenster im dritten und vierten Stock hattensie durch hohe Tore wie an einem Stall ersetzt, die sich zur Seite rollen ließen, und Joe hatte das verlassene Gebäude in sein privates Bootshaus umgewandelt.
Er hielt den Motor stets in Schuss. Die Maschine lief ruhig und regelmäßig und stieß keine Qualmwolken aus wie die Hälfte aller Motorboote, die die Wasserwege der Versunkenen Stadt befuhren. Normalerweise hätte Joe alles blitzblank sauber gehalten, aber die Vorsicht untersagte es, denn mit Mahagonideck und poliertem Messing hätte das Boot seinen Wert verraten und Kanalratten und Piraten angelockt. Darum hatte Joe das Kajütboot nicht mehr gereinigt, seit er es besaß. Auf Deck und an den Wandungen hatte sich eine Schicht aus Schmutz und Schmiere gebildet, mit hässlichen Ablagerungen an der Wasserlinie, die jedes Mal sichtbar wurden, wenn eine Welle oder eine Strömung einen Blick auf den Rumpf gestattete.
Doch Joe war der Schmutz egal, er hatte das Kajütboot ins Herz geschlossen.
Ein leichter Dauerregen fiel an diesem Nachmittag, und eine Decke aus grauer Trübnis lag über der Stadt. Obwohl bis zum Sonnenuntergang noch Stunden vergehen würden, herrschte ein tristes Dämmerlicht, und es bestand kaum Hoffnung, dass sich an diesem Tag noch etwas daran ändern würde. Es überraschte Joe, dass Molly bei ihm auf Deck blieb; er hatte ihr nahegelegt, sich in der kleinen Kajüte im Bug des Bootes zu verkriechen. Doch entweder aus Starrsinn oder wilder Entschlossenheit, jenen Mann zu suchen, der sie in den letzten beidenJahren behütet hatte, saß das Mädchen auf der Bank im Heck und musterte wachsam jedes halb versunkene Gebäude, an dem sie vorüberfuhren. Von Kanalratten, wie die brutalen Raubmörder genannt wurden, würde Molly sich nicht überrumpeln lassen.
Nicht dass Joe sich vor den Kanalratten gefürchtet hätte. Während seiner Jahre in New York war er mit so vielen von ihnen aneinandergeraten, dass sie für ihn nichts Besonderes mehr waren. Ungeziefer, ob menschlicher Art oder nicht, musste bekämpft und beseitigt werden.
Joe lenkte das Boot durch den Schatten des sechzigstöckigen Woolworth-Gebäudes, das wie durch ein Wunder die Verwüstungen von 1925 überstanden hatte. Vielen niedrigeren Gebäuden war es nicht so gut ergangen; einige waren halb eingestürzt, andere völlig von der Flut verschluckt worden. Dieser Teil der Stadt war schwer zu befahren, denn an manchen Stellen ragten die Bauwerke aus dem Wasser, an anderen waren sie unter der Oberfläche verborgen, je nachdem, ob die Flut hoch oder niedrig stand, und nur ein Narr hätte ohne ausgezeichnete Kenntnisse der verfallenden Ruinen, der Strömungen und der Gezeiten versucht, ein Boot durch diese Gegend zu lenken.
»Ist das nicht gefährlich?«
Joe erschrak, als Molly lautlos neben ihm erschien, und riss das Ruder nach Backbord. Mr. Church hatte ihr einen roten Wollschal und einen alten gelben Regenmantel gegeben, und die Farben wirkten in der Trübnis erstaunlich lebhaft. Molly überraschte Joe immer wiederdurch ihre Flinkheit; wenn sie es darauf anlegte, konnte sie so lautlos und schnell wie ein Schatten sein.
»So gefährlich, wie es nun mal ist, wenn man in dieser Stadt irgendwohinwill«, erwiderte Joe.
Sie flitzten übers Wasser und hielten gebührenden Abstand von der Unterseite der Brooklyn Bridge. Unter der
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