Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Joe Golem und die versunkene Stadt

Joe Golem und die versunkene Stadt

Titel: Joe Golem und die versunkene Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mike Mignola
Vom Netzwerk:
erlangt, die er verdient hat?
    Mr.   Church lehnte sich an das Bücherregal. In seiner Brust hatte sich ein entsetzliches Gewicht gebildet, das mit jedem Moment wuchs. Das gesamte Öl und Blut sammelten sich dort, und die immer langsamer arbeitenden Mechanismen konnten ihn nicht mehr mit der Kraft versorgen, die er brauchte, um diese Last zu tragen. Er roch den Rauch, der aus ihm strömte, und schmeckte wieder ölige Tränen auf den Lippen.
    »Natürlich«, krächzte er mit einer Stimme, die nicht lauter war als das Wispern der Gespenster. »Das wissen Sie doch.«
    In seinem langen Leben hatte er furchterregende Astralwesen gesehen, blutdürstige Nachtmahre von Verrückten und Spuke voller Wut und Hass. Er hatte verlorene, trauererfüllte Phantome zu Gesicht bekommen, bloße Echos einsamer Existenzen, die voller Angst waren, in ein Nachleben einzutreten, das womöglich noch einsamer war als ihr Leben auf Erden. Doch es hatte nichts mit Angst zu tun, dass Church jetzt fröstelte, weil er von den Gespenstern seiner toten Freunde umgeben war. Wenn er überhaupt etwas empfand, war es ein Gefühl der Sicherheit. Und ganz bestimmt war er nicht einsam.
    Dennoch wünschte er, die Geister wären nicht erschienen, denn ihre Gegenwart erschwerte ihm den Schritt, den er als nächsten unternehmen musste.
    Sie müssen Joe in der Lage zurücklassen, in der er ist , sagte Cranhams Gespenst. Lassen Sie seinen Geist ruhen. Er hat es verdient.
    Die Schmerzen lähmten Church. Sein Atem ging in dünnen, rasselnden Zügen, und seine linke Hand zuckte unkontrolliert, aber er hörte sich jedes Wort an. Er wusste, dass er Hawthorne und den anderen Aufmerksamkeit schuldete, und er würde sie nicht ignorieren. Er wünschte nur, er könnte sich fügen. Aber das war nicht möglich.
    »Es tut mir leid«, sagte er mit schwächlicher, schleppender Stimme. »Es gibt noch mehr zu tun.«
    Church bemerkte einen Ausdruck der Enttäuschung im Gesicht Hawthornes. Trotz der hauchzarten Substanzlosigkeit des Gespensts, durch das selbst das schwache Licht im Zimmer hindurchschien, und der Leere seiner Augen zeigte der Blick des Schemens nach wie vor die gesamte Skala menschlicher Gefühlsregungen. Langsam schwebte Hawthornes Geist an Church heran, wobei er mehrmals verschwand und wieder erschien, bis sie einander nahe genug waren, um flüsternd Geheimnisse auszutauschen, ohne dass die anderen es hörten.
    Mir gefällt es nicht, Sie leiden zu sehen, Simon , sagte Hawthornes Gespenst.Im Rauch bildeten seine Züge mehr die Andeutung eines Gesichts. Ich werde Ihre Last lindern, wenn ich kann. Aber Sie müssen zuhören.
    »Ich sagte doch schon   …«, begann Mr.   Church.
    Sie müssen , erwiderte Hawthornes Gespenst mit noch mehr Nachdruck, streckte eine fahle Nebelhand aus und drückte sie an Mr.   Churchs Brust. Der Schmerz schien nachzulassen, und Mr.   Church atmete aus. Dennoch wusste er, dass Hawthorne ihm keine Heilung bot, sondern nur kurze Linderung. Der Funke einer fremdartigen Vitalität zündete in seinem Innern, und Mr.   Church begriff, dass Hawthorne ihm etwas von der eigenen spirituellen Substanz geschenkt hatte, einen Teil von sich selbst, um ihm Erleichterung von seinen Qualen zu verschaffen.
    »Ich danke Ihnen«, krächzte Mr.   Church.
    Doch das Gespenst nahm nicht die Hand von Mr.   Churchs Brust. Stattdessen flüsterte es nur: Erinnern Sie sich.

----
Kapitel 14
    E s ist eine andere Zeit, Jahre zuvor. Church sitzt in seinem Studierzimmer am Schreibtisch. Eine Jazzplatte spielt; ihre leise Melodie tanzt durch den Raum. Die Vorhänge sind geöffnet, und Mondlicht strömt herein, fällt über den ausgebleichten, einst hübschen Teppich. In der Luft wirbelt Staub, ein träger Sturm der Vernachlässigung im blassgelben Licht. Wäre Church nicht anwesend, könnte man den Eindruck gewinnen, das Zimmer sei schon Monate oder noch länger verlassen. Doch er sitzt so vollkommen reglos da, dass auch er Teil der Einrichtung sein könnte.
    Church holt tief und abgehackt Luft und stört damit die Staubkörnchen, die ihn umschweben, während er auf den eigentümlichen Mechanismus vor ihm auf dem Schreibtisch starrt, dessen einstmals glänzendes Metall nun trüb ist von anhaftendem Öl und erfüllt von Zauberkraft. Die Apparatur sieht aus, als hätte Church sie den mechanischen Organen nachempfunden, die er sich gebaut hat, doch dieser Apparat aus kleinen stählernen Pumpen und abgedichteten Stahlkammern ist sehr viel mehr.
    Sobald die Implantation

Weitere Kostenlose Bücher